Der Fabulant

Bevölkerungsaustausch:
Die Angst vorm großen Tauschangriff

Ersetzen „die da oben“ uns bald alle?

Na, heute schon ausgetauscht worden? Glaubt man den Erzählungen rund um den Bevölkerungsaustausch (auch bezeichnet als Großer Austausch oder Umvolkung), so soll eine gigantische, die Globalisierung steuernde und geheime Elite die Bevölkerungen Europas durch Migration, insbesondere aus muslimisch-geprägten Ländern, ersetzen wollen. Alle Völker Europas sollen so ausgelöscht werden, um die „weißen Europäer” zuerst zu fremdbeherrschten Heimatlosen zu machen und dann – Achtung: Wir befinden uns hier in Gefilden tiefbrauner „Rassenkunde“ – eine „negroide Mischrasse” entstehen zu lassen, die leichter zu beherrschen sei. Das Ziel: ein weltweites, totalitäres System zur Kontrolle der Weltbevölkerung.

Vermischen verboten?!

Beweise soll es hierfür zuhauf geben: Das augenscheinliche Vorhandensein von fremd gelesenen Menschen (= Menschen, die als „nicht deutsch" wahrgenommen werden) in unserer Gesellschaft, wie der türkische Gemüsehändler, Migrant:innen und Reisende, die europäische Geflüchtetenpolitik und internationale Abkommen (wie der UN-Migrationspakt) oder die sinkende Geburtenrate „deutscher” Kinder. Teil der absurden „Beweisführung“ sind außerdem angeblich geleakte Dokumente, die beweisen, dass in geheimen Bunkeranlagen hunderttausende Muslime versteckt werden, um den Dritten Weltkrieg anzuzetteln. Ernsthaft? Die Stichhaltigkeit dieser Argumente ist offen gesagt genau wie die vermeintlichen Bunkeranlagen – unterirdisch. Kaum verwunderlich, dass sich vor allem recht(spopulistisch)e Gruppierungen auf diese rassistische Wahnvorstellung und die paranoide Angst vor einer Erscheinung, die immer schon Teil der Menschheitsgeschichte war (= Migration) stürzen.

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Was von neurechten Verschwörungsgläubigen als „der Untergang Europas“ prophezeit wird, ist keine sonderlich innovative Geschichte und glänzt auch nicht gerade vor Kreativität. Im Gegenteil – es werden uralte Kamellen herausgekramt, die äußerst fad schmecken. So bezieht sich die Erzählung des Bevölkerungsaustauschs zu großen Teilen auf das 2011 erschienene, rechtsextreme Werk des französischen Schriftstellers Renaud Camus mit dem Titel „Le grand remplacement“ (dt. „Der große Austausch“). In bedrohlichen Bildern beschreibt er die vermeintlichen Auswirkungen eines angeblichen Bevölkerungsaustauschs durch steigende Migration auf die französische Gesellschaft – es droht der Untergang der französischen Kultur und Identität. Hätte die jahrhundertelange Tradition Frankreichs als Einwanderungsland nicht schon längst zum Untergang führen müssen? Nun gut, den Gedanken hat Camus offenbar bewusst ausgeblendet – er war ja auch nicht der erste, der einen solchen völkischen Unfug verbreitete. Da gibt es nämlich auch noch Jean Raspail, dessen 1973 verfasstes Werk „Das Heerlager der Heiligen“ mittlerweile als Kult-Lektüre der „Neuen Rechten“ gilt. Vor allem Antidemokrat:innen und Rechtsextreme stehen einfach auf die ausgrenzenden und dystopischen Erzählungen rund um den Bevölkerungsaustausch

Im deutschsprachigen Raum zum Beispiel beschrieb der antidemokratische Autor Oswald Spengler kurz nach dem ersten Weltkrieg in dramatischen Bildern, wie „junge“ Völker die mächtigen Kulturnationen Europas überrennen und verdrängen würden, während Friedrich Burgdörfer („Bevölkerungswissenschaftler“ und späteres Mitglied der NSDAP) 1932 mit fragwürdigen Statistiken vor einem angeblichen „Volkstod“ der als „homogene Rasse“ vorgestellten Deutschen warnte. Nicht zu vergessen Adolf Hitler, der bereits 1925 in seinem Pamphlet „Mein Kampf“ vom „Genozid an den Weißen“ sprach. Sie alle sehen in dem „Fremden“ eine Bedrohung für das „Deutsche Volk“. In diesen düsteren Werken haben die heutigen Bevölkerungsaustausch-Erzählungen, die eine „gesteuerte Migration“ von außen wittern, wahrlich ein nicht enden wollendes Fundament an rassistischen, antisemitischen und menschenverachtenden „Belegen“. Die ganze Erzählung taugt also nicht für eine reißerische Novität auf dem Verschwörungsmarkt. Selbst die Verantwortlichen bleiben über die Jahre hinweg meist dieselben: eine „jüdische Elite”. Was bis 1945 noch offen ausgesprochen wurde, wird heute codiert, denn offen Jüd:innen zu beschuldigen, ist vielen Menschen mittlerweile dann doch zu 1933. Heute heißen die Sündenböcke: Rothschild-Familie, „Bilderberger“, „Kalergi-Plan“ oder George Soros (US-Investor), der angeblich mithilfe seiner Stiftung Open Society Foundations (OSF) ein weltweites Netzwerk kontrollieren und Flüchtlingsströme gezielt nach Europa lenken will.

Die üblichen Verdächtigen

Jüdische Menschen verantwortlich für Leid und Missstände zu machen, ihnen Weltherrschaft- und Machtbestrebungen zu unterstellen – nichts Neues. Die Annahme, dass sie mit der Verunreinigung der „deutschen Rasse“ etwas zu tun haben, legitimierte im Dritten Reich letztlich unter anderem den Holocaust. Heute tummeln sich die verschwörerischen Erzählungen rund um den Bevölkerungsaustausch munter an einen Stammtisch mit artverwandten Erzählungen, wie der „Neuen Weltordnung“, den „Illuminaten“ oder „QAnon“ – Na prost Mahlzeit!

Aber auch in der Politik findet der Mythos vor allem im rechtspopulistischen und -extremen Lager Anklang und wird gerne hier und da in provokanter, populistischer Absicht eingesetzt. Da wird dann ganz schnell (beispielsweise durch die AfD) aus einem 2018 beschlossenen UN-Migrationspakt  ein „verstecktes Umsiedlungsprogramm für Wirtschafts- und Armutsflüchtlinge“ gestrickt.

Das explosive und manipulative Gemisch aus rassistischen Narrativen, antisemitischer Ideologie und völkischem Nationalismus ist nicht nur haltlos, sondern macht das Märchen des Bevölkerungsaustauschs ziemlich gefährlich. Oft genug haben wir in den letzten Jahren gesehen, wie weit der Glaube an diesen Mythos führen kann: Christchurch, Hanau, Halle, Utoya. Alle Attentate haben etwas gemeinsam: Die Täter berufen sich auf den Bevölkerungsaustausch, The Great Replacement, die Gefahr einer „Rassenvermischung“ und legitimieren ihre Morde als Schutz-/ Notwehrhandlung.

Klares Fazit: Austausch ausgeschlossen!

Quellen

Laborberichte

Trends

auf einem Blick

Darum geht’s

Das rassistische und antisemitische Narrativ des Bevölkerungsaustauschs (auch als Großer Austausch oder Umvolkung bezeichnet), beschreibt eine angebliche Verschwörung welche zum Ziel haben soll, die weiße Mehrheitsbevölkerung in westlichen Staaten durch gezielte Einwanderung zu ersetzen.

Pro

Nie war das Erkennen rassistischer und antisemitischer Motive in einer Erzählung einfacher. Wer diese verbreitet, entlarvt seine menschenverachtenden Einstellungen im Handumdrehen.

Kontra

  • Eine Bevölkerung verändert sich, ist immer in Bewegung und im Wandel und kein in sich geschlossenes, homogenes und blutsverwandtes Kollektiv.
    Die Annahme einer „Völkerverschiebung” ist unrealistisch und historisch falsch.

  • Migrationsströme wurden und werden zu einem gewissen Teil durch die Politik gesteuert. Darum gibt es Abkommen, an denen neben den Regierungen auch viele andere mitwirken, wie das EU-Parlament, Bundesländer, Arbeitgeberverbände, zivile Hilfsorganisationen, Kirchen und Gewerkschaften.
    Wie soll da eine Steuerung durch eine „heimliche Elite“ möglich sein?

  • Schonmal eine Großbaustelle beobachtet? Wie könnte der Bau von geheimen Bunkeranlagen für Zigtausende Menschen und der Transport von massenweise Baumaterial verheimlicht werden?
    Und wo sind Fotos und Dokumente, die die Versorgung mit Lebensmitteln, Strom und (Ab-)Wasser nachweisen? Schließlich sollen die Standorte dieser angeblichen Bunker doch bekannt sein!

  • Migration ist Teil der Menschheitsgeschichte und lässt sich nicht auf Knopfdruck steuern. Die Vorstellung einer „reinen Rasse“ ist historisch sowie biologisch betrachtet nicht haltbar.

  • Die durchschnittliche Geburtenrate in Deutschland sinkt – auch bei Menschen mit nicht-deutscher Staatsangehörigkeit.

  • Deutschland hat eine Bevölkerungszahl von 83 Millionen Menschen. Rund ein Viertel von ihnen hat einen Migrationshintergrund, rund 80% der in Deutschland lebenden Menschen sprechen zu Hause ausschließlich Deutsch.
    Wie soll so die Bevölkerung ausgetauscht werden?
    (Daten: destatis.de)

  • Die Stiftungen der „Open Society Foundations“ (OSF) unterstützen vor allem Demokratieförderung, wirtschaftliche Gerechtigkeit, Antidiskriminierungsarbeit, Bildung und Gesundheit – auch viele Nichtregierungsorganisationen. Wie viel Geld in welchen Bereich fließt, ist auf der Webseite der OSF transparent aufgeführt.
    Alles öffentlich einsehbar – keine Verschwörung in Sicht!

  • Der Mythos enthält zahlreiche stereotype Zuschreibungen und antisemitische und rassistische Vorurteile.

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Gefahrenpotenzial

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