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Da spinnt mir doch jemand ein Verschwörungsnetz
Achtung, Achtung! Hier kommt die ganz heiße Ware! Denn QAnon ist seit der Erstveröffentlichung 2017 in den USA ein Kassenschlager auf dem Verschwörungsmarkt. Das Franchise entwickelte sich schnell: QAnon-Thesen brannten sich wie ein Lauffeuer durch sämtliche Online-Foren sowie Radio- und TV-Sendungen. Eine App komplettierte das digitale Angebot, es folgten Merchandise, Fan-Fictions und eine Anhängerschaft auf dem gesamten Globus. 100 Gründe, sich das sektenhafte Phänomen QAnon einmal genauer anzusehen!
Alles begann am 28. Oktober 2017 auf der unter Rechtsextremen und Incels beliebten Plattform 4chan. Ein damals noch unbekannter User mit dem Namen „Q clearance patriot“ gab sich als Eingeweihter in Regierungskreisen der USA und Trump-Vertrauter aus und verbreitete die Botschaft, die Verhaftung von Hillary Clinton, Barack Obama, George Soros und weiteren Vertreter:innen von Politik und Wirtschaft stehe kurz bevor. Es sei eine Verschwörung im Gange gewesen, die die USA zu einer Diktatur formen wolle. Eifrig wurde diese Behauptung durch ein Netz von Verschwörungsmythen, antisemitischen Erzählungen und den damaligen US-Präsidenten Donald Trump zum Helden hebenden Geschichten angereichert. Grundlage der vielen zur Ideologie gesponnenen Fäden war der im US-Wahlkampf populär gewordene Mythos des „Pizzagate“, der ebenfalls Hillary Clinton ins Visier nahm und Trump in seiner Kandidatur unterstützen sollte.
Kernaussage „Q“s: Trump führte einen internen Krieg gegen verborgene, satanische Eliten in Regierung und Wirtschaft, die den Deep State aufrechterhalten. Eifrig ist auch des anonymen Users Fangemeinde, die sich bald den Namen „QAnon“ gab und die Posts des Urhebers um weitere Verschwörungsgeschichten, vermeintliche Beweise und fragwürdige Weltbilder anreicherte. Unter dem Slogan „Follow the White Rabbit“ wird sich gegenseitig aufgefordert, noch tiefer in die Geschichten „Q“s einzutauchen. – Nun ja, Nachahmung ist ja bekanntlich die schmeichelndste Form der Bewunderung, deshalb rege ich mich über diese vermeintliche Einladung in das Rabbit Hole, das sich bei näherer Betrachtung schnell als ein Wurmloch entpuppt, nicht auf. Wären die eifrigen Spürnasen nicht dem falschen Hasen auf den Leim gegangen, hätte ich heute keinen Job.
Die Ideologie von QAnon trug sich schnell selbst. Trump selbst, samt Anhängerschaft und weitere Verschwörungsgläubige werden nicht müde, den Mythos stetig weiter zu verbreiten. „Q“ konnte sich auf seinem Erfolg ausruhen und wurde schludrig. So verkamen seine Nachrichten von konkreten Ankündigungen alsbald zu kryptischen und schwer lesbaren Ansammlungen von allgemeinen Schlagworten und Militärbegriffen. Vermeintliche Beweise für seine Regierungsnähe waren verschwommene Bilder aus Flugzeugen und vage Prognosen über Trumps Tweets. Das bekommt heutzutage jede gescheite KI besser hin!
Anfangs ging es noch um die große Verschwörung der Demokraten, Linken, Wirtschaftsmagnate und eigentlich allen öffentlichen Personen, deren Ritualmorden, Diktatur, Kinderhandel und Pädophilie, satanistischen Ritualen und Drogenexperimenten nur einer etwas entgegensetzen könnte: Donald Trump himself! Aber weil die Geschichte eben fix auserzählt ist und keine der Q-Prophezeiungen eintrat, mussten neue Ideen her: smarter Sidekick Trumps beim Kampf gegen das Böse sei kein geringerer als – der doch nicht tote – John F. Kennedy Jr.; internationaler Verbündeter sei Kim Jong-un, der sich endlich von den Fäden trennen würde, die ihn mit der Marionetten-spielenden CIA verbanden. Immer diffuser wurde der Dschungel an populären Verschwörungserzählungen, durch den sich „Q“ mit scharfer Klinge schlug und mitnahm, was ihm zuflog: die Titanic sei in Wahrheit versenkt worden, Merkel und Hitler seien verwandt, Hitler sei auch nur eine Marionette der ganz großen Weltverschwörer gewesen und überhaupt: Deep State, Neue Weltordnung und Illuminati. Wer noch kein Bingo im Spiel der Verschwörungsmythen hat, schummelt!
In dem bunten Potpourri, das die QAnon-Ideologie inzwischen anbietet, findet fast jeder Verschwörungsaffine einen Anknüpfungspunkt für seine Ansichten. Im popkulturellen Fachjargon nennt man das Fan-Service. Doch Fan-Sein ist nicht weit entfernt vom Fanatisch-Sein. QAnon-Anhänger:innen sehen sich dabei selbst als Held:innen in einem weltweiten, apokalyptischen Kampf für das Gute, sammeln fleißig vermeintliche Beweise für ihre Thesen, fühlen sich in ihrer Gemeinschaft aufgefangen und bestätigt und tragen stolz das „Q“ als Erkennungszeichen ihres Glaubens. Ein Glauben, der ihnen Antworten auf komplizierte Fragen, Sinn und Erlösung bringt. Selbst falsche Prognosen und vage Anspielungen können sie nicht enttäuschen. Vielmehr wird zu geschickten Schachzügen gratuliert und an einen Plan geglaubt, den vermeintlich nur die 160-Zeichen-Legende Trump kennt. Dafür ist eine ausschweifende Fantasie und extremes Vertrauen innerhalb eines sektenhaften Gefüges gefragt.
Extrem sind auch die Aktionen, die von QAnon-Fans ausgehen: Zahlreiche Gewalttaten, fragwürdige Bürgerwehren, die Ermittlungen und Justiz gegen vermeintliche Verschwörer:innen in die eigene Hand nahmen, bewaffnete Nötigung zur Offenlegung vermuteter Pläne, versuchte Wahlmanipulation, Angriffe auf Polizist:innen, Brandstiftung, versuchte Geiselnahmen, Mordversuche und Morde im Zeichen der Ideologie, welche laut FBI, wen wundert`s, eine ideale Grundlage für Terrorismus bietet.
Bisweilen populärer Höhepunkt der Bewegung war nach Trumps Wahlniederlage 2020, dem Raunen über einen vermeintlichen Wahlbetrug und bundesweiten Demonstrationen seiner Anhänger:innen, rechtsextremen Gruppierungen sowie QAnon-Gläubigen der Sturm auf das Kapitol im Januar 2021. Trump und QAnon-Rädelsführer hatten zu einem Marsch zur „Rettung Amerikas“ aufgerufen, der die Vereinigten Staaten dazu zwingen sollte, das Wahlergebnis als ungültig zu erklären – zu Trumps Gunsten natürlich. Mit Geschrei wurde in das Gebäude gestürmt, Menschenleben aufs Spiel gesetzt und ein Krieg ausgerufen. In Zusammenarbeit mit rechtsextremen Milizen soll ein Putsch geplant gewesen sein, in welchem Senatoren als Geiseln genommen oder gar getötet werden sollten, um Trump an die Macht zu putschen. Auch in Deutschland findet sich die Ideologie vermehrt auf Demonstrationen und unter Reichsbürger:innen und Selbstverwalter:innen wieder.
Spätestens jetzt ist jedem klar: QAnon ist längst kein Internet-Geschichten-Spinner mehr, sondern ein ernstzunehmender, gefährlicher, dezentraler Zusammenschluss, der auf die Radikalisierung Einzelner setzt, statt führende Köpfe voranschreiten zu lassen. Befeuert durch Republikaner, Trump und recht(sextrem)e Gruppierungen entfacht sich die Ideologie in einem Buschbrand, welcher nur schwer einzudämmen ist. Auch wenn Trump und „Q“ (vorläufig) verstummen, breitet sich die Anhängerschaft weiter aus, konstruiert Zusammenhänge und ist fortwährend auf der Suche nach Feindbildern und „Beweisen“, um endlich den lang ersehnten „Sturm" gegen das Böse zu beginnen.
Die QAnon-Ideologie beginnt als eine düstere Geschichte über verborgene Machenschaften, vermischt sich mit jeder Menge esoterischen und Science-Fiction-lastigen Elementen und bietet ein Best-Of gängiger Verschwörungsmythen, wobei sie die Sprache des Antisemitismus erschreckend deutlich und fließend spricht. Das macht sich nicht nur in QAnon verwandten Mythen wie Pizzagate und Adreonochrom bemerkbar, sondern auch die explizite Benennung jüdischer Drahtzieher der unterstellten Weltverschwörung, welche eine gefährliche Nähe zu den gefälschten Protokollen der Weisen von Zion aufweist.
Welche Gewalt fiktive Werke in realen Personen hervorrufen können, ist hier nur zu gut bemerkbar und sollte nicht mit einem Fingerwisch abgetan werden. Wo ein Lügennetz ist, sollte nach dem weißen Hasen Ausschau gehalten werden, der euch aus dem Rabbit Hole rausbringt. Der, der euch weiter hineinführen will, ist höchstens ein falscher Hase!
Heidi Beirich: Abstrus, aber brandgefährlich. QAnon und die amerikanische Demokratie. In: Heike Kleffner, Matthias Meisner (Hrsg.): Fehlender Mindestabstand. Freiburg 2021, S. 91.
Pöhlmann, M. (2021): „Tiefer Staat, Satanisten und Kinderblut“
CeMas: „Q vadis? | CeMAS “
Vice: „Q hat sich versehentlich geoutet, den QAnon-Anhängern ist das egal“
Tagesschau.de: „Verschwörungsanhänger: Was ist QAnon?“
Deutschlandfunk: „Verschwörungsmythen im Pop – Strategien der QAnon-Bewegung“
Intelligencer: „The Storm Is the New Pizzagate — Only Worse“
voanews.com: „How the QAnon Conspiracy Theory Went Global“
T-Online: Die wohl gefährlichste Sekte der Welt
Bild: Wesley Tingey via Unsplash