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Die da oben sind ganz tief drin?
Ein wahrer Klassiker unter den Verschwörungsnarrativen ist die Geschichte über den Deep State oder den „Staat im Staate“. Wie andere verborgene Territorien und geheimnisvollen Orte taucht auch dieser über die Jahrhunderte immer mal auf und wieder ab – und das auf unterschiedlichen Flecken der Landkarten dieser Welt.
Alle paar Jahre, wenn die konspirativ-spekulative Luft, die den Menschen – wo auch immer auf der Erde – um die Nase weht, besonders frisch ist, weiß man: es dauert nicht mehr lang und der Mythos des Deep State durchläuft wieder einen Zyklus. Bereits im 17. Jahrhundert wurde der lateinische Begriff des imperium in imperio geprägt. Fast genauso alt ist die Chronik des geheimnisvollen Staates. Kurz nach der Gründung des Illuminaten-Ordnens in den 1770er Jahren wurde dieser der Verschwörung beschuldigt – der Deep State war geboren. Auf seinen noch wackligen Mauern sollen die Ordensmitglieder den bayerischen Staat unterwandern und diesen mit aufklärerischen Absichten im Verborgenen zu lenken versucht haben. Diese Bemühungen schienen nicht sehr erfolgreich, denn mit dem Verbot und der bald folgenden Auflösung des Ordens versank der Staat im Staate erstmal wieder zwischen anderen verschwörungsraunenden Überlieferungen.
So wabert der sagenumwobene Deep State durch die Geschichte der Menschheit, taucht mal hier und mal da auf und wächst mit jedem Verschwörungsnarrativ, das erfunden und wieder aufleben gelassen wird.
Mittlerweile ist der Mythos des Deep State so umfangreich besprochen worden, dass man heute, wenn man genau hinhört, an sehr vagen Anzeichen erkennen kann, wann der Staat im Staate herbei geraunt wird. Jüngste Erzählungen wähnen den wanderlustigen Tiefen Staat aktuell in den USA. Anhänger des Staatenkults und Beschwörer:innen sind Ex-Präsident Donald Trump und dessen Befürworter:innen sowie rechtsextreme und verschwörungsideologische Gruppen wie QAnon. Je lauter das Geflüster über konspirative Gruppen wird, die Ministerien, Militär und Geheimdienste im Verborgenen lenken würden, desto klarer werden die Umrisse des Deep State. Etablierte Verschwörungserzählungen über geheime Eliten, Hochfinanz und Inside-Jobs geben ihm seine festen Mauern. Ausgeschmückt mit Geschichten über verborgene Mächte, ohnmächtige Präsidenten, einen noch immer regierenden Obama und internationale Pädophilenringe befindet sich der Mythos des Deep State derzeit in der Blüte seiner Existenz.
Hat man sich einmal an den Mix aus Verschwörungsmythen, die den geheimnisvollen Staat umgeben, gewöhnt, erkennt man schnell, dass es sich bei der Sage rund um das allumfassende Imperium – wieder einmal – lediglich um eine Nacherzählung der alten Leier handelt: das klassische, vermeintlich alles erklärende Narrativ von „Denen da oben“ wurde hier mal ganz tief nach unten geholt, mit den typischen antisemitischen Erzählungen rund um eine jüdische Finanzelite aufgestockt und einem Baldachin aus Science-Fiction-lastigen Kriminalelementen überdacht. Was als mystische Geschichte eines wandernden Territoriums beginnt, entpuppt sich als Sprungschanze für die Radikalisierung von konservativen Strömungen in den USA und untermauert gefährliche und demokratiefeindliche Weltbilder, wie die QAnon-Ideologie. Mein Fazit: Diesen Plot Twist hätte ich nicht gebraucht!
Pöhlmann, M. (2021): „Tiefer Staat, Satanisten und Kinderblut“
Deutscher Bundestag: „Informationen zur ,QAnon‘-Verschwörungstheorie“
Internationale Politik und Gesellschaft: „Verschwörungstheorien: Die Verschwörung“
Süddeutsche.de: „Die gefährliche Theorie von Amerikas „deep state““
Tagesschau.de: „Wahlkampf mit Verschwörungslegenden“
Jon D. Michaels, „The American Deep State“, 93 Notre Dame L. Rev. 1653 (2018)
The Washington Post: „Trump and Republicans see a ‘deep state’ foe: Barack Obama“
Bild: Andy Feliciotti via Unsplash