Der Fabulant

Bargeldabschaffung:
Bares wird Rares

Hier wird euch das Geld gecloud!

Schein oder nicht Schein

Der Einkauf im Supermarkt, das Popcorn an der Kinokasse, die Wette vor dem nächsten Fußballspiel - das alles zahlst du in einer nahen Zukunft nur noch mit dem digitalen Euro. Zumindest, wenn man dem Rabbit Hole Glauben schenkt. Die Vorteile: kein Kramen nach dem passenden Cent-Stück, keine Spätis, die deine Kreditkarte ablehnen, kein Milchgeld-Abziehen mehr auf dem Pausenhof der Grundschule. Der Nachteil: Geheime, böse Mächte lesen jeden Posten auf deiner Einkaufliste mit, egal ob du im Supermarkt oder im Sexshop bist. Unerwünschtes Verhalten soll sogar mit einer Zahlungssperre bestraft werden können. Doch es gibt noch Hoffnung, denn eine kleine, aufsässige Gruppe wehrt sich vehement gegen das digitale Portemonnaie. Mit festem Griff klammern sich die selbsternannten „Freiheitskämpfer“ an goldene Taler und knittrige Geldscheine, die sie jahrelang heimlich in Sofaritzen, unter Kopfkissen und in hohlen Keramiktieren gesammelt haben. Ihr Plan, um die Dystopie vom gläsernen Menschen doch noch zu verhindern: Mittels eines alten, zu einer Zeitmaschine umgebauten Münztelefons begeben sie sich auf eine waghalsige Reise in die Vergangenheit ins Jahr 2024, um uns hier und heute vor der Abschaffung des Bargelds zu warnen! Hören wir sie doch einmal an…

Kommt ein gläserner Mensch in eine Bar…

… die Europäische Zentralbank hat schon für ihn bestellt, denn sie weiß ja, was er mag. So zumindest der Vorwurf, wenn die Bemühungen der EU für den digitalen Euro diskutiert werden. Verschwörungsraunende Bargeldliebhaber sehen darin nämlich den Grundstein für den Zwang zu digitalen Zahlungen, die Überwachung des gesamten Zahlungsverkehrs und damit die Abschaffung der Privatsphäre aka der Freiheit, für die sie so gerne kämpfen. Dran an der Behauptung ist eigentlich nichts, denn es wird weder versucht, den physischen Euro durch die digitale Währung zu ersetzen, noch kann von Überwachung gesprochen werden. Der digitale Euro soll, wenn es ihn denn geben wird, ganz im Gegenteil mehr Privatsphäre mit sich bringen als so manch anderes Zahlungsmittel. Andererseits hat der Geldkoffer bei dubiosen Hinterzimmergeschäften auch einfach viel mehr Stil. Ich kann den Hang zur Nostalgie schon verstehen.

Neue Geldordnung

Aber ist die EZB nicht eigentlich auch nur eine Marionette eines noch viel größeren Masterplans? „Ja!“, rufen die Freiheitskämpfer aus ihrer Telefonzelle heraus, „die Bargeldabschaffung ist nur einer von vielen Schritten zum Great Reset!“ „Stimmt doch gar nicht!“, rufen andere Freiheitskämpfer aus einer weiteren Telefonzelle, „die Bargeldabschaffung ist nur einer von vielen Schritten zur Neuen Weltordnung!“ Bei so viel Uneinigkeit klingel ich doch lieber mal bei denen da oben durch und hake genauer nach. „Nichts dran“, wird da behauptet, „aber fragt doch mal bei den Geschäftsbanken nach.“ Die sind nämlich diejenigen, die tatsächlich von einer Einschränkung des Bargeldverkehrs profitieren würden, denn die betreiben die Bankautomaten, die uns vorm Späti heutzutage doch noch den Durstlöscher zum Feierabend retten. Die Automaten und Zulieferung dieser zu unterhalten, wird aber zunehmend teurer und somit unwirtschaftlich, weil ein Großteil der Menschen sich eben ganz freiwillig für andere Zahlungsweisen entscheiden. Hätten wir also auch geklärt, warum immer mehr Automaten verschwinden. Ganz ohne den Einfluss der EZB.

Ob nun Great Reset oder Neue Weltordnung hinter der angeblichen Bargeldabschaffung stehen, ist erstmal nebensächlich. Fakt ist, mit der haltlosen Erzählung schaffen mal wieder Populisten das, was sie besonders gut können. Nämlich Verunsicherung in den Köpfen der „kleinen Leute“. Hier wird im großen Stil mit der Angst gespielt, plötzlich nicht mehr liquide und einem unverständlichen digitalen System ausgeliefert zu sein. Besonders fruchtet dieses Narrativ in Deutschland, da Bargeld hier nach wie vor das beliebteste Zahlungsmittel ist. Doch ich kann euch beruhigen: Die EU und auch die Zentralbanken haben weiterhin ein Interesse daran, Bargeld als Zahlungsmittel zu gewährleisten, nicht zuletzt, weil die Distribution dessen eine ihrer wichtigsten Aufgaben ist. Obergrenzen für Bargeldgeschäfte betreffen wohl weiterhin nur die organisierte Kriminalität. Und solange der letzte „Nur Barzahlung“-Zettel nicht aus den Schaufenstern der Innenstädte verschwunden ist, ist auch die im Rabbit Hole beschriene Freiheit garantiert.

Quellen

Verbraucherzentrale Deutschland. (n.d.). Bargeld-Obergrenze in der EU: Was ist erlaubt?. https://www.evz.de/finanzen-versicherungen/bargeld-obergrenze-in-der-eu.html. (Abrufdatum: 15. Oktober 2024)

Bayerischer Rundfunk. (28. September 2023). Wie eine angebliche Bargeldabschaffung Ängste schüren soll. https://www.br.de/nachrichten/wirtschaft/wie-eine-angebliche-bargeldabschaffung-aengste-schueren-soll (Abrufdatum: 15. Oktober 2024)

Deutschlandfunk. (4. Oktober 2023). Bargeldabschaffung: Wird das digitale Girokonto das Bargeld verdrängen?. https://www.deutschlandfunk.de/bargeld-abschaffung-digital-girokonto-102.html#Begrenzen (Abrufdatum: 15. Oktober 2024)

Europäische Zentralbank. (n.d.). Digitaler Euro: Häufig gestellte Fragen. https://www.ecb.europa.eu/euro/digital_euro/faqs/html/ecb.faq_digital_euro.de.html (Abrufdatum: 15. Oktober 2024)

Bayerischer Rundfunk. (16. August 2023). Bargeld: Wie lange wird es Scheine und Münzen noch geben? Das sagt die Bundesbank. https://www.br.de/nachrichten/wirtschaft/bargeld-wie-lange-wird-es-scheine-und-muenzen-noch-geben-das-sagt-die-bundesbank (Abrufdatum: 15. Oktober 2024)

Bildquelle: Canva

Laborberichte

Trends

auf einem Blick

Darum geht’s

Die große Furcht über eine angebliche Bargeldabschaffung zieht durchs Land und der Zwang zur digitalen Zahlung erschafft den gläsernen Menschen.

Pro

Endlich passt das Portemonnaie wieder in die Hosentasche!

Kontra

  • Das Recht auf Bargeld als Zahlungsmittel ist in der Europäischen Union auf Verfassungsebene verankert. Um das zu ändern, müssten alle 27 Mitgliedstaaten zustimmen.

  • 2024 wurde eine EU-weite Obergrenze für Barzahlungen von 10.000 Euro beschlossen, um gegen Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung vorzugehen. Die Regelung tritt voraussichtlich ab 2027 in Kraft.

  • Die Herausgabe von 500-Euro-Scheinen wurde von der Europäischen Zentralbank 2018 beendet. Der Grund dafür ist ebenfalls die Bekämpfung von Geldwäsche.

  • In einigen EU-Staaten werden von den Banken keine Ein- und Zwei-Cent-Münzen mehr ausgegeben, als Zahlungsmittel werden sie aber weiterhin akzeptiert.

  • Die Europäische Zentralbank (EZB) bereitet aktuell den digitalen Euro als kostenloses und digitales EU-weites Zahlungsmittel vor. Die EZB verspricht, dass der digitale Euro mehr Privatsphäre als andere digitale Zahlungsmittel bieten würde. Der digitale Euro würde das Bargeld nicht ersetzen, sondern eine Ergänzung sein.

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