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Was ist das Lieblingstier des „kleinen Mannes“? Der Sündenbock!
Egal ob am wöchentlichen Stammtisch, an der Supermarktkasse oder beim abendlichen Spaziergang mit dem Dackel, immer wieder hört man missmutiges Gemurmel und Geschimpfe über eine ganz bestimmte Gruppe: „Die da oben“. Sätze wie „Die haben jetzt schon wieder die Spritpreise erhöht“ oder „Die machen ja sowieso, was sie wollen“, sind nur ein kleiner Auszug aus dem Greatest-Hits-Album mit dem Titel „Die da oben sind schuld“. Mag ein Problem auch noch so klein erscheinen, irgendein Bezug zur scheinbar allmächtigen Obrigkeit wird immer aus dem Zylinder der Unzufriedenheit herbeigezaubert. Somit werden „die da oben“ zum universellen Schweizer Taschenmesser unter den Sündenböcken. Aber wer sind „die“ eigentlich und wenn ja, wie viele?
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Es ist der klassische Einstieg in die Welt der Verschwörungsmunkeleien: „Wir hier unten gegen die da oben“. Vom Narrativ einer bevormundenden Regierung, die vermeintlich ohne Rücksicht auf Verluste Entscheidungen trifft, sieht sich vor allem eine Gattung der Schöpfung besonders bedroht: „Der kleine Mann“. Der muss dabei nicht zwangsläufig männlich sein, sondern dient vielmehr als grimmig dreinblickende Galionsfigur für eine unzufriedene Gruppe von Menschen, die sich von der Demokratie, der Regierung und der ganzen bösen Welt im Stich gelassen fühlt.
Das Gefühl der Machtlosigkeit schafft ein gemeinsames Feindbild und macht komplexe Ereignisse greifbarer. Wie das aussehen kann, haben wir beispielsweise während der Corona-Pandemie gesehen: Frustration, Zukunftsängste und Unsicherheiten erzeugten bei einem kleinen, aber sehr lauten Teil der Bevölkerung einen (vor Wut) schäumenden Hass-Cocktail gegen – ihr ahnt es – „die da oben“. Pünktlich zur Tagesschau wurde eifrig der Fernsehbildschirm angeschrien, um die neuesten Bekanntmachungen der Corona-Beschränkungen auseinanderzunehmen und die auf Telegram erlernte „Gesundheitsexpertise“ zum Besten zu geben.
Aber wer sind denn jetzt „die da oben“? Nun ja, da sind sich selbst die Verschwörungsgläubigen nicht ganz einig. Es kursieren Begriffe wie „Establishment“, „Elite“ oder „Strippenzieher“. Gemeint sind damit mal Politiker:innen, mal eine angebliche jüdische Weltmacht, mal Großkonzerne oder manchmal eben auch einfach die fiese Backwaren-Lobby, die unsere Kuchenpreise wieder mal um 20 Cent erhöht hat (sogar bei Karottenkuchen, ein Skandal!).
Sicherlich gibt es eine Vielzahl von Entscheidungen und Verfahrensweisen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, bei denen „der kleine Mann“ nichts zu melden hat. Schließlich leben wir weder in einer direkten Demokratie noch in einem System, das die Benachteiligung jedes einzelnen ausschließt. Wir alle stehen an unterschiedlichen Punkten auf der Pyramide, die zu „denen da oben“ zeigt. Beeinflusst wird das von vielen Faktoren, auf die man mitunter wenig Einfluss hat: Vermögen, sozialer Status, Herkunft, Job, Zugang zu Bildung und Infrastruktur – um nur einige zu nennen.
Umso wichtiger ist es, strukturelle Probleme und Diskriminierung zu benennen und zu hinterfragen. Eine allgemeingültige Schuldigengruppe gibt es dabei nicht. Anstatt sich also in blinder Wut auf fiktive Charaktere zu stürzen, könnte „der kleine Mann“ sich informieren, sich so gut es geht gesellschaftlich engagieren und seine Möglichkeiten zur politischen Mitgestaltung nutzen.
Der Verschwörungsglaube an eine allessteuernde Weltmacht ist also so vielseitig und schwammig wie die an sie adressierten Beschwerden und nicht selten durch antisemitische Ideologien befeuert. Und so ist der Mythos von „denen da oben“ im Endeffekt das wutbürgerliche Pendant zu Big Foot: undefinierbar, ungreifbar und reine Einbildung.
Deutschlandfunk Nova: Interview mit Pia Lamberty – „Verschwörungs-Erzählungen radikalisieren Gesellschaften“
Amadeu Antonio Stiftung: Verschwörungsdenken: Eine uralte Form, die Welt durch Schuldzuweisung
Bildungsportal NRW: Politikum – Verschwörungstheorien
Bild: Andre Hunter via Unsplash