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Existenzkrise in der Bundesrepublik
Wer kennt es nicht: Wir alle haben vermutlich schon mal über eine fiktive Zeitreise in die Vergangenheit fantasiert. Klingt ja erstmal auch ganz spannend. Während Otto Normalverbraucher dabei wohl eher an die Nutzung einer futuristischen Zeitmaschine denken würden, weiß sich da eine bestimmte Gruppierung mit ganz anderen Methoden zu helfen, um längst Vergangenes „wiederzubeleben“. Mit wehenden Kaiserreichsflaggen und reichlich „Argumenten“ bewaffnet, hält ein Großteil der sogenannten „Reichsbürger”-Bewegung am Fortbestand des Deutschen Reiches fest und ist sich sicher: „Die Bundesrepublik Deutschland, die gibt’s doch gar nicht!“
Selbsternannte Könige, geheime Großmächte und treue Kaiserreichsanhänger. Was klingt wie eine typische Staffel von Game of Thrones, ist leider keine unterhaltsame Fantasy-Story, sondern Teil der wahnwitzigen Ideologien von „Reichsbürgern“, „Selbstverwaltern“ und „Souveränisten“. Diese sind unter anderem der festen Überzeugung, dass die Bundesrepublik Deutschland kein souveräner Staat sei und die staatlichen Gesetze daher nicht verpflichtend seien. Neu ist diese Bewegung nicht: Schon seit den 1980er-Jahren wächst die Szene immer weiter an und vereint verschiedenste demokratiefeindliche Ideologien unter einer Flagge. Aber was wollen die eigentlich?
In der (Wahn)Vorstellung einiger Anhänger soll Deutschland immer noch von den Alliierten besetzt sein und die armen Deutschen müssen staatenlos … äh, tatenlos dabei zusehen, wie das von ihnen ersehnte „Deutsche Reich“ durch „fremde Mächte“ kontrolliert wird. Schließlich habe es nach dem Zweiten Weltkrieg nie einen Friedensvertrag gegeben und die Bundesrepublik wäre somit in Wahrheit immer noch als Deutsches Kaiserreich im Kriegszustand. Wem das noch nicht reicht, hat die freie Auswahl an Erzählungen, warum Deutschland die Souveränität abhandengekommen sei: Die BRD sei am 17./18. Juli 1990 untergegangen, die neuen Bundesländer seien nicht wirksam entstanden oder schlicht – Deutschland habe keinerlei Handlungsfähigkeit. Komisch, das hatte ich historisch irgendwie anders in Erinnerung. Hierbei wird sich auch gerne antisemitischer Verschwörungserzählungen wie QAnon oder dem Deep State bedient. Bei derartigen Verirrungen wird die patriotische Pickelhaube schnell mal zum klassischen Aluhut – oder umgekehrt.
Manche Anhänger der „Reichsbürger”-Bewegung sehen Deutschland nicht nur als staatenlose Besatzungsspielwiese, sondern auch als eine von den USA gegründete Firma – die BRD GmbH. CEO dieser angeblichen Unternehmung? Der Bundeskanzler höchstpersönlich. Somit soll auch der gesamte Rest Deutschlands als seine knapp 83 Millionen Angestellten für ihn arbeiten. Auch eine kreative Möglichkeit, um Arbeitslosigkeit abzuschaffen. Dafür gibt’s dann auch eine schicke „Mitgliedskarte“ aka Personalausweis.
Wer keine Lust hat auf eine lebenslange Festanstellung bei Vater Staat oder auf vermeintliche alliierte Marionettenspieler, dem bleibt nur eine Möglichkeit: das eigene Königreich ausrufen. Klingt absurd, ist aber ganz einfach. Alles, was man dafür braucht, ist ein schlecht beleuchteter Krönungssaal, kitschige Reichsinsignien aus dem Kostümshop und eine eigens verfasste „Gründungsurkunde“. So handhabte es zumindest der Gründer des extremistischen Fantasiestaats „Königreich Deutschland“ (KRD), als er sich 2012 feierlich vor rund 600 „Untertanen“ zum „Obersten Souverän“ der KRD ernennen ließ. Die fragwürdige Do-it-yourself-Krönung ist allerdings genauso rechtskräftig wie Jürgen Drews‘ Titel als König von Mallorca. Neben der KRD gibt es noch weitere Pseudo-Staaten und Organisationen aus der „Reichsbürger”-Bewegung, welche gezielt Fantasie-Dokumente wie „Reichsführerscheine“ oder „Reichspersonalausweise“ in Umlauf bringen. Das Ziel solcher haltlosen Staatssimulationen besteht darin, die gültige Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland außer Kraft zu setzen und durch ein eigenes System zu ersetzen. Das setzt dem Größenwahn wortwörtlich noch die Krone auf.
Wer ausreichend Nerven und Baldrian mitbringt, um sich mit den skurrilen Ideologien der Szene zu beschäftigen, dem wird schnell klar: Die „Reichsbürger”-Bewegung ist kein Phänomen, das man einer einzelnen Gruppe zuordnen könnte. Einige sind überzeugte Neonazis, die sich den Nationalsozialismus zurückwünschen. Andere sind rechtsextremistische Esoterik-Anhänger, die eine Abgrenzung von der demokratischen Gesellschaft predigen. Diese braune Suppe vermischt sich mit allerlei Verschwörungsgläubigen, vermeintlichen „Aussteigern“ und einer Menge Unzufriedenheit.
So absurd sich die Vorstellungen und Methoden der „Reichsbürger”-Bewegung auch anhören mögen, sie sind alles andere als harmlos. Das Bundesamt für Verfassungsschutz stuft immerhin fünf Prozent der „Reichsbürger” und „Selbstverwalter" als rechtsextrem und zehn Prozent als gewaltbereit ein. In den letzten Jahren kam es in Deutschland immer wieder zu gewalttätigen Handlungen aus dem Milieu, wie beispielsweise die tödlichen Schüsse auf Polizeibeamte im Jahr 2016. Im August 2020 versuchte eine Gruppe aus Verschwörungsgläubigen, „Reichsbürgern” und Rechtsextremen das Reichstagsgebäude in Berlin zu stürmen – es blieb beim Versuch. Eine bundesweite Großrazzia deckte im Dezember 2022 eine reichsideologische Gruppe auf, die mutmaßlich den gewaltsamen Umsturz der Regierung und die Einführung einer anderen Staatsform plante.
Die fatalen Folgen solcher extremistischen Taten und Ideen sind längst deutlich in unserer Gesellschaft zu spüren. Unterm Strich ist die „Reichsbürger”-Bewegung ein stetig wachsender Flickenteppich von Anhängern verschiedenster problematischer Ideologien. Einen gemeinsamen Nenner gibt es jedoch in der Szene: Sie ist gefährlich für unsere demokratische Gemeinschaft. Danke, aber es reicht!
Bundeszentrale für politische Bildung: Reichsbürger und Souveränismus
Institute for Strategic Dialogue: Die Reichsbürger Bewegung
Amadeu Antonio Stiftung: „WIR SIND WIEDER DA“: Die „Reichsbürger“: Überzeugungen, Gefahren und Handlungsstrategien
Bundesamt für Verfassungsschutz: Reichsbürger und Selbstverwalter
Konrad Adenauer Stiftung: Reichsbürger
Deutschlandfunk: „Reichsbürgerbewegung“: Rechtsterrorismus gegen den deutschen Staat
Bayerischer Rundfunk: #Faktenfuchs: Antworten auf häufige Reichsbürger Argumente
Bild: Mike Bird via Canva