Der Fabulant

Transvestigation:
Gender-Gaga von Rechts

Dein Schädel verrät mehr als dein Pass!

Während wir uns für andere Geschichten aus dem Rabbit Hole tief ins Unterirdische graben, bleiben wir heute einmal ganz oberflächlich. Denn die sogenannten „Transvestigators“ laden mit ihren Erzählungen von der „Elite Gender Inversion“ zu einer auf platten Stereotypen basierenden Miss-Wahl. Beziehungsweise Mister-Wahl. Je nachdem, welchem Promi sie gerade unterstellen, im Geheimen trans* zu sein. Verwirrt? Ich auch! Und die oben erwähnte Anhängerschaft der Transvestigation-Verschwörungserzählung auch. Die wähnt sich nämlich in einer total verrückten Gegenteilwelt, in der viele Männer zu Frauen „gemacht“ wurden und andersrum. Natürlich auf Anweisung von denen da oben!

Gender Reveal, aber ohne Luftballons

Aber erstmal zurück zur Miss-Wahl. In einschlägigen Reddit-, X- und Telegram-Foren werden seit einigen Jahren sämtliche Getty-Images, Insta-Posts und Konzertmitschnitte berühmter Persönlichkeiten mit allerlei bunten Linien, dicken Pfeilen, Schädelskizzen und ausufernden „Wer weiß, der weiß“-Rufen versehen und somit nahezu täglich eine neue „Miss Secretly Trans*“ gekürt, also als angeblich trans* geoutet. Zur Wahl qualifiziert sich jede Frau, die eine sportliche Figur, ein markantes Kinn, Wangenknochen, ein schmales Becken oder auch nur einen Adamsapfel hat (also jede) und damit von einer herbeifantasierten, kaum erfüllbaren Norm abweicht. Das eng gestrickte Schönheitsideal der Transvestigators lässt sogar die gute, alte Size Zero vor Neid erblassen. Und ist bei näherer Betrachtung nicht nur ziemlich misogyn, sondern auch rassistisch. Denn die haltlosen Vorwürfe treffen häufig insbesondere Frauen of Color, wie beispielsweise Michelle Obama oder die ehemalige Tennisspielerin Serena Williams.

Auffällig ist auch, dass vor allem Frauen in Machtpositionen sowie selbstbewusste, expressive und erfolgreiche Frauen in den Fokus der Transvestigators geraten. Lady Gaga veröffentlicht ein neues Album? „Sie ist trans*!“ Michelle Obama wird vielleicht US-Präsidentschaftskandidatin? „Sie ist trans*!“ Imane Khelif gewinnt bei Olympia Gold? „Sie ist trans*!“ Die „Logik“ dahinter: „Eine echte Frau könnte gar nicht so erfolgreich/talentiert/beliebt sein! Das muss eigentlich ein Mann sein!“

An dieser Stelle sei der Vollständigkeit halber erwähnt: Natürlich gibt es trans* Personen und garantiert müssen viele davon dies allein schon für ihre persönliche Sicherheit geheim halten, jedoch sind trans* Frauen nun mal Frauen und nicht „eigentlich“ Männer und sie verfolgen in erster Linie das Ziel, sie selbst sein zu können, und basteln nicht etwa an der nächsten Weltordnung. Das nämlich wirft die Transvestigation-Bewegung den vermeintlich zahlreichen trans* Promis auch noch vor. Diese sollen angeblich ein neues, „unnatürliches“ Geschlechterbild etablieren, das bisherige Normen aushebelt und Platz für eine neue gesellschaftliche Ordnung macht.

Oder doch Gender Conceal von ganz oben?

Gesponsert werden soll der ganze Gegenteil-Hokuspokus übrigens konsequenterweise von einer geheimen Elite wie den Illuminaten oder dem Deep State. Die bezahlen laut Transvestigation-Foren sämtliche Promis für deren angebliche Transition und das damit verbundene Unruhestiften, wahlweise mit Macht, sehr viel Geld oder sogar Adrenochrom. Na klar sind auch satanistische Rituale ein Teil der Transvestigation-Erzählung! Mittels absurder Schauermärchen werden so Transidentitäten entwertet und dämonisiert, indem sie mit satanistischen Symbolen in Verbindung gebracht und ihnen grundsätzlich böse und geheimniskrämerische Absichten unterstellt werden. Und so ergänzt die Transfeindlichkeit die Misogynie und den Rassismus zur unheiligen Dreifaltigkeit der Transvestigation-Ideologie. Überraschend ist das nicht, denn der Mythos von der Elite Gender Inversion entstammt QAnon- und Trump-nahen Kreisen und bettet sich in die transphoben Diskurse und die gestiegene queerfeindliche Hasskriminalität der letzten Jahre ein.

Wer hat Angst vorm Regenbogen?

Aber eines überrascht mich dann doch: Ausgerechnet jene Kreise, die sonst bei jeder Unisex-Toilette vor Empörung fast an ihren „Genderwahn!“-Rufen ersticken und sich beschweren, dass Gender „andauernd“ zum Thema gemacht würde, entwickeln plötzlich eine geradezu manische Obsession mit der Geschlechtsidentität anderer Menschen. Mein Rat: Solche problematischen Unterstellungen in Zukunft einfach sein lassen, sonst ist bei der nächsten Gendervorhersage gegebenenfalls mit Niederschlag zu rechnen.

Quellen

Laborberichte

auf einem Blick

Darum geht’s

Selbsternannte Online-Detektive „enttarnen” zahlreiche Promis als trans*. Maßgebliche Beweise sollen Schädelform, Gangart oder auch Sportlichkeit sein.

Pro

Geschlechtsidentität ist also doch fluide!

Kontra

  • Der Anteil von Menschen, die sich als trans* identifizieren, innerhalb der Bevölkerung schwankt je nach Studienlage. Das Meinungsforschungsinstitut Gallup ermittelte beispielsweise im Jahr 2021 einen Anteil von 0,7% innerhalb der US-Bevölkerung.

  • Körperliche Merkmale wie Kieferform, Beckenbreite, Schulterabstand, Fingerlängen oder Gesichtszüge sind kein verlässlicher Beweis für das Geschlecht.

  • Auch biologische Geschlechter und deren Merkmale bewegen sich auf einem Spektrum. Genetische Variationen, Hormonverteilungen und andere Faktoren können das Erscheinungsbild eines Menschen beeinflussen, auch unabhängig von XX- oder XY-Chromosomen.

  • Die Transvestigation-„Enthüllungen“ beruhen auf dem Confirmation Bias: Es wird sowieso nur das gesehen, was die These stützt. Alles andere wird ignoriert oder uminterpretiert.

Stiftung Fabeltest

Fantasie

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Gefahrenpotenzial

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