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Hass & Hetze durch Copy & Paste
Wer sich im Rabbit Hole mit dem klassischen Gerede rund um Weltverschwörung, Geheimbünde und herrschende Eliten befasst, kommt an einem bestimmten Sammelsurium des Grauens kaum vorbei. Die sogenannten „Protokolle der Weisen von Zion“ bieten nun schon seit über 100 Jahren einen sumpfig braunen Nährboden für unzählige antisemitische Verschwörungsmythen und -ideologien. Was als drittklassiges Schauermärchen begann, ist bis heute die wohl populärste antisemitische Hetzschrift der Weltgeschichte.
Um sich im vernebelten Ursprung dieses Pamphlets einen Durchblick zu verschaffen, muss man mehr als nur einmal durch die Geschichte springen. Die erste offizielle Ausgabe der „Protokolle der Weisen von Zion“ erschien 1903 in Russland in einer rechtsextremen Zeitung. Es wird der Anschein erweckt, als gäbe sie die wörtliche Rede einer geheimen Versammlung wieder. Und das wars schon mit Kontext – weder Teilnehmende noch Zeitpunkt oder Redner dieser vermeintlichen Versammlung werden genannt. Schnell wird klar: mit einem echten Protokoll hat dieses Fantasiewerk wirklich gar nichts zu tun. Dass es sich nicht um protokollierte Reden handelt, ist jedoch das geringste Problem. Inhaltlich beschreibt der vermeintliche Sprecher angebliche geheime Methoden und Ziele einer „jüdischen Verschwörung” gegen die gesamte nichtjüdische Welt. Die perfekte universelle Vorlage für unzählige antisemitische Mythen war geboren.
Bei der Suche nach den Urhebern dieser völlig realitätsfremden „Protokolle“ stößt man schnell auf ein Problem: keiner weiß wer‘s war. Bis heute kursieren zahlreiche Theorien und Munkeleien über mögliche Verfasser der Schrift. Die Spekulationen ähneln dabei den Kostümideen einer geschmacklosen Halloween-Party und reichen vom russischen Geheimdienst bis hin zu dubiosen Adeligen, Okkultisten, abgehalfterten Politikern und antisemitischen Schriftstellern. Den Mutmaßungen und Fantasien sind keine Grenzen gesetzt.
Was die Inhalte betrifft, so wurde hier ein buntes Gemisch aus diversen Schriften des 19. Jahrhunderts zusammengepuzzelt. Ein Fleißsternchen will ich für dieses billige Bastel-Plagiat jedoch keinesfalls vergeben, denn hier wurde zweckentfremdet und umgedichtet, was das Zeug hält. Ein Großteil der „Protokolle“ basiert beispielsweise auf einem von Maurice Joly verfassten erfundenen Dialog zwischen dem Staatsphilosophen Montesquieu und dem Machttheoretiker Machiavelli aus dem Jahr 1864. Die dreisten Fälscher kopierten ganze Textpassagen dieses Fantasy-Werks und schrieben vor allem die Machtfantasien des fiktiven Machiavelli, den vermeintlichen „jüdischen Verschwörern“ auf die Fahne.
Auch eine äußerst fragwürdige Szene aus dem 1868 erschienenen drittklassigen Schauerroman „Biarritz“ wurde kurzerhand zur „wahren Beobachtung eines Zeitzeugen“ umfunktioniert. Im Buch des bekennenden Antisemiten Herrmann Goedsche (Pseudonym Sir John Retcliffe) wird von einer geheimen nächtlichen Rabbiner Zusammenkunft auf dem Prager Friedhof erzählt, bei der die Errichtung einer „jüdischen Weltherrschaft“ geplant worden sein soll. Bei einer so absurd theatralischen Klischee-Story wundert es fast, dass den angeblichen Verschwörern nicht auch noch Hörner oder Hufe hinzugedichtet wurden…
Weltweite „Karriere“ machten die zweifelhaften „Protokolle“ schließlich im Zuge der Veröffentlichung eines mystischen Werkes mit dem lebensbejahenden Titel „Das Große im Kleinen, oder die Ankunft des Antichrist und die herannahende Herrschaft des Teufels auf der Erde“. Na, wenn das mal nicht zum entspannten Schmökern am gemütlichen Fegefeuer einlädt. Dieser endzeitliche Verschwörungstext des russischen Hobby-Apokalyptikers und Antisemiten Sergej Nilus wurde in den darauffolgenden Jahren in verschiedene Sprachen übersetzt und erlebte zahlreiche Neuauflagen. So richtig los ging es mit dem Hype ab 1917, unter anderem als Nilus die Legende in die Welt setzte, dass es sich beim geheimen Treffen der „jüdischen Weltverschwörer“ um den internationalen Zionistenkongress 1897 in Basel gehandelt haben soll.
So begannen die „Protokolle“ ihren steten Marsch als antisemitisches Propaganda-Instrument durch die Geschichte: Oktoberrevolution, russischer Bürgerkrieg, Weimarer Republik und schließlich auch Nationalsozialismus. Die NSDAP nutzte die antisemitischen Inhalte damals gezielt, um beispielsweise den Holocaust als „Abwehrkampf“ gegen ein angebliches „Weltjudentum“ zu rechtfertigen. In der arabischen Welt erlangten die „Protokolle“ vor allem im Zuge des Nahostkonflikts im 19. Jahrhundert starke Popularität. Insbesondere nach der Staatsgründung Israels verbreiteten sich die Texte in der gesamten muslimischen Welt. Sie dienen vielen Gegnern Israels bis heute als zusätzliche Rechtfertigung für ihren Kampf gegen „die Juden“.
Eines ist absolut sicher: Die „Protokolle der Weisen von Zion“ wurden in den letzten hundert Jahren mehrfach von der Forschung und Gerichten als frei erfundenes Pamphlet entlarvt, weswegen sie häufig als „gefälscht“ bezeichnet werden. Schaut man sich den Begriff „Fälschung“, jedoch genauer an, so entpuppt sich diese Bezeichnung als klare sprachliche Nachlässigkeit: Eine Fälschung bezieht sich immer auf ein existierendes Original – das sucht man hier genauso vergeblich wie die „echten Weisen von Zion“. Das alles entspringt reiner antisemitischer Fantasie. Trotz der eindeutigen Faktenlage glauben viele Verschwörungsgläubige und Antisemiten immer noch an die Echtheit der „Protokolle“ und halten eisern am Glauben an eine „jüdische Weltverschwörung“ fest. Die antisemitische Hetzschrift entfaltet seither fast ungebremst ihre gefährliche und abstoßende Wirkung – nicht nur in längst vergangenen Tagen, sondern bis heute.
Bundeszentrale für politische Bildung: Aufgeheizt – Über die „Protokolle der Weisen von Zion“
Deutschlandfunk Kultur: Die „Protokolle der Weisen von Zion“ – Karriere einer antisemitischen Lüge
GRA Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus: Glossar – Protokolle der Weisen von Zion
Amadeu Antonio Stiftung: Down the Rabbit Hole – Verschwörungsideologien: Basiswissen und Handlungsstrategien
Bayrischer Rundfunk, Radiowissen (Podcast): Die Protokolle der Weisen von Zion – Geschichte einer Fälschung
Deutsches Historisches Museum: Die „Protokolle der Weisen von Zion“
Bild: Sergiu Vălenaș via Unsplash