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In Washington, D.C. geht die Elite nicht nur zum Lachen in den Keller
Wer bei #pizzagate an aufpolierte Instagram-Posts von leckeren Pizzakreationen und inspirierenden Rezeptideen denkt, den muss ich leider massiv enttäuschen. Bei diesem geschmacklosen Verschwörungsmythos vergeht einem schlagartig der Appetit. Was Hillary Clinton mit einem geheimen Kinderpornoring und einer Pizzeria in Washington D.C. am (Pizza)Hut haben soll? Ich nehme euch mit in die skurrilen Abgründe von „Pizzagate“ und wir werfen gemeinsam einen Blick über den Tellerrand.
Alles begann während des US-Wahlkampfs im Jahr 2016, als in der Verschwörungsszene plötzlich der Glaube an einen „geheim agierenden Pädophilenring“ aufkam. Im Fokus der haltlosen Behauptungen stand niemand geringeres als die damalige Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton. Sie soll die Fäden eines diabolischen Netzwerks ziehen, das angeblich Kinder verschleppt, missbraucht und verkauft. Und weil VIPs immer für gute Schlagzeilen sorgen, wurden mal eben Barack Obama, Lady Gaga und weitere Promis mit ins Verschwörungsboot geholt und direkt zu „Mittätern“ erklärt. Hauptstandort dieser kinderunfreundlichen Lieferungen sollte der Keller einer Pizzeria in Washington, D.C. sein, welcher auch über geheime Tunnel verfügen soll. Von solchen wetterfesten Transportwegen können andere Lieferdienste wohl nur träumen.
Wie kreativ manche Verschwörungsgläubige sein können, zeigt sich vor allem, wenn man den Auslöser von „Pizzagate“ unter die Lupe nimmt: Auf der Enthüllungsplattform Wikileaks wurden 2016 illegalerweise E-Mails zwischen dem damaligen Wahlkampfmanager Clintons, John Podesta und James Alefantis, dem Besitzer der Pizzeria „Comet Ping Pong“, veröffentlicht. Knobelfreudige Verschwörungsfans wollten anhand bestimmter Wörter und Formulierungen in den Mails den Beweis dafür erkennen, dass Hillary Clinton Teil eines pädophilen Netzwerks sei.
Vermeintlich harmlose Wörter wie „pizza“, „pasta“ oder „sauce“ wurden im Handumdrehen als angebliche Codewörter identifiziert und stünden eigentlich für die Begriffe Mädchen, kleine Jungs und Orgie – logisch! Wer das nicht sofort erkennt, muss eindeutig Tomaten auf den Augen haben. Also aufgepasst bei eurer nächsten Pizza Bestellung, nicht dass Hillary euch noch die Party versaut! Als Alefantis dann auch noch ein Foto auf Instagram postet, auf dem er ein T-Shirt mit der Aufschrift „J’ <3 L’Enfant“ (Enfant ist französisch für Kind) trägt, ist das Urteil der Verschwörungsanhänger gefällt: Im Keller seiner Pizzeria ruht nicht nur Hefeteig, sondern auch ein dunkles Geheimnis. Dass das Shirt jedoch aus dem Lokal „L’Enfant Café Bar” stammte, das nach Pierre Charles L’Enfant benannt ist, wurde dabei gekonnt übersehen.
Über soziale Netzwerke wie Reddit, 4Chan und Twitter verbreitete sich das „Pizzagate“-Märchen schließlich wie ein Lauffeuer. Und wie man das aus dem Internet leider häufig kennt, sind solche absurden Behauptungen deutlich schneller geteilt als hinterfragt. Vor allem Trump-Fans und Anhänger rechtsextremistischer Strömungen in den USA widmeten sich voller Begeisterung der Verschwörungserzählung. So wurde #pizzagate über die letzten Jahre immer weiter ausgerollt und mit allerlei neuen Details und Verknüpfungen zu weiteren Mythen wie QAnon, Deepstate oder „Adrenochrom“ belegt – antisemitische Stereotype inklusive.
Wie weit sich solche Verschwörungsstorys hochschaukeln können, zeigte sich am 4. Dezember 2016, als ein bewaffneter Anhänger der „Pizzagate“-Erzählung die „Comet Ping Pong“-Pizzeria stürmte, um die angeblich dort festgehaltenen Kinder aus dem Keller zu befreien. Er feuerte zwei Schüsse ab und musste schnell feststellen: Im Restaurant gab es weder versklavte Kinder noch Geheimverstecke und nicht mal einen Keller. Dieser fanatische „Befreiungsschlag“ ging ordentlich in die Hose und der Schütze dafür hinter Gitter – verletzt wurde glücklicherweise niemand.
Bis heute wird der absurde Mythos immer wieder aufgegriffen und auch von (fragwürdigen) Prominenten wie Elon Musk, Xavier Naidoo oder Robbie Williams als „wahr“ oder „nicht widerlegt“ betitelt. Auch wenn es keinen einzigen Beweis für die Wahrheit der Verschwörungserzählung gibt, wird Tiefkühlpizzagate weiterhin gerne aufgetaut, mit neuen angeblichen Beweisen gewürzt und mit gefährlicher Überzeugung serviert. Nein danke, bei mir gibt’s heute lieber wieder Karotten.
Deutsche Welle: Faktencheck: Nein, „Pizzagate“ ist nicht real
Rheinische Post: Wieso Menschen weiterhin an „Pizzagate“ glauben
The New York Times: Dissecting the #PizzaGate Conspiracy Theories
Bayerische Akademie der Wissenschaften: Podcast: Was verbirgt sich hinter QAnon?
MIMIKAMA: Pizza-Gate
TAZ: Verschwörungstheorie über Clinton – #Pizzagate geht weiter
Bild: Giorgio Trovato via Unsplash