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Falsche Erinnerungen mit fatalen Folgen
Wenn wir an satanische Rituale, Teufelsanbetung oder Blutopfer denken, haben wir wohl alle Bilder von düsteren Gestalten mit schwarzen Roben im Fackelschein vor Augen. Solche klischeehaften Szenen kennen wir zu genüge aus Film und Fernsehen. Es sind ausgedachte Gruselgeschichten, zu denen wir uns gerne Mal eine Tüte Popcorn einverleiben. Doch was passiert eigentlich, wenn solche Schauermärchen Menschen als angebliche Erinnerungen ihrer eigenen Kindheit eingetrichtert werden? Die Verschwörungserzählung der „Satanic Panic“ führte in den 1980er und 1990er Jahren nicht nur zu einer Massenpanik in den USA, sondern findet bis heute weltweit Anklang bei überzeugten Fachleuten aus Wissenschaft, Justiz und Politik – mit schweren Folgen für Betroffene.
Der teuflische Mythos beginnt in den USA der 1980er und frühen 1990er Jahren. Wie so häufig in der Verschwörungswelt ist ein Buch der zentrale Auslöser für die Bekanntheit des Mythos. In dem augenscheinlich biografischen Buch „Michelle Remembers“ beschreibt Michelle Smith, wie sie ihrem Psychiater und späteren Ehemann Lawrence Pazder unter Hypnose angebliche „Erinnerungen“ an rituellen satanischen Missbrauch in ihrer Kindheit schildert. Pazder arbeitete stark suggestiv und obwohl die Gespräche zwischen den beiden wirklich stattfinden, konnten die darin geschilderten Ereignisse bis heute nicht verifiziert und teilweise widerlegt werden. Trotzdem schaffte es das umstrittene Buch zum Bestseller und Panikmacher.
Viele Psychologinnen und Psychologen, Polizistinnen und Polizisten sowie besorgte Eltern sahen das Buch als „Beweis“ für eine angebliche Verschwörung geheimer satanistischer Kulte, die Kinder in ritualisierten Handlungen missbrauchen oder töten würden. Diese Vorstellungen vermischten sich schließlich mit Ängsten vor Jugendkultur, Drogen, Rockmusik und einem vermeintlichen Verfall moralischer Werte. Reißerische Medienberichte und Talkshows griffen das Thema ebenfalls auf und kippten zusätzlich Öl ins (Fege)Feuer der Massenpanik, welche mittlerweile auch Europa erreichte.
Von da an war die „Satanic Panic“ nicht mehr zu stoppen und hatte tausende unbegründete Falschbeschuldigungen zur Folge. In den USA wurden zahlreiche Erzieherinnen und Erzieher, Eltern und andere Betreuungspersonen auf Basis des satanischen Verschwörungsglaubens angeklagt. Einige saßen sogar jahrelang im Gefängnis, bevor die Urteile später wieder aufgehoben wurden. Außerdem wurden ganze Kindertagesstätten geschlossen, Karrieren ruiniert und Familien auseinandergerissen – obwohl nie stichhaltige Beweise für die angeblichen satanistischen Netzwerke gefunden wurden. Hier steckte der Teufel wohl ausnahmsweise mal nicht im Detail, sondern im Glauben.
Obwohl die ursprüngliche Welle der Panik mittlerweile abebbte, lebt der Mythos ritueller Gewalt bis heute weiter. In den USA werden vor allem in Verschwörungskreisen wie QAnon oder fundamentalistisch-religiösen Gruppen ähnliche Narrative wieder aufgegriffen. Die Leier bleibt dabei gleich: mächtige Eliten sollen im Verborgenen Kindern Gewalt antun, um Macht, Unsterblichkeit oder spirituelle Energie zu erlangen – heute aber eher durch antisemitische Storys wie Adrenochrom, Pizzagate oder Deep State.
Doch auch im deutschsprachigen Raum hält sich die Verschwörungserzählung bis heute wacker. Erschreckenderweise auch dort, wo der Mythos massiven Schaden anrichten kann: in Therapieeinrichtungen. Hierbei glauben manche therapeutischen Fachleute felsenfest an die Existenz geheimer satanischer Gruppen, die Menschen in Ritualen missbrauchen, töten und deren Gedanken programmieren, um sie fernzusteuern. „Mind-Control“ nennt sich diese angebliche Remote-Gehirnwäsche und soll auch dabei helfen, die Täterinnen und Täter zu schützen, indem die Opfer ihre bösen Taten immer wieder brav verdrängen.
Die vermeintlichen Erinnerungen an solche satanischen Eskapaden werden den Betroffenen durch fragwürdige suggestive Therapiemethoden erst nach und nach eingetrichtert. Die Basis dieser Praxis bildet dabei oft die umstrittene Diagnose der dissoziativen Identitätsstörung. Nicht selten werden dabei die eigenen Eltern der Betroffenen als diabolische Schuldige vermutet. Teilweise werden die Patientinnen und Patienten auch von den Betreuenden überwacht und radikale Kontaktverbote zu Familie und Freund:innen ausgesprochen. Es existieren ganze Netzwerke bestehend aus Therapieeinrichtungen, Justizpersonen, Menschen aus Politik und Lehrkräften, die die problematischen Ideen durch Weiterbildungen, Fachbücher und Veranstaltungen verbreiten.
Die „Satanic Panic“ zeigt, wie kollektive Ängste, mediale Hysterie und pseudowissenschaftliche Methoden zu massiven gesellschaftlichen Schäden führen können. Behandlungen im Glauben an rituelle Gewalt sind nicht nur gefährlich für Menschen mit realen psychischen Erkrankungen, sondern reißen auch ganze Familien auseinander und hinterlassen bei den Opfern eine ständige Angst vor „dem Bösen“. Klar ist: Natürlich gibt es reale Fälle von (sexuellem) Missbrauch. Umso wichtiger ist es daher zwischen den tatsächlichen Opfern und den unbelegten Behauptungen der oft antisemitischen Verschwörungserzählung zu unterscheiden. Zum Teufel mit der „Satanic Panic“!
SRF. (28.06.2023). «Satanic Panic»: das Netzwerk hinter der Verschwörungserzählung. Abgerufen am 16.05.2025, von https://www.srf.ch/news/schweiz/angebliche-gedankenkontrolle-satanic-panic-das-netzwerk-hinter-der-verschwoerungserzaehlung
Watson. (02.11.2024). Satanic Panic: Was es mit den falschen Erinnerungen auf sich hat. Abgerufen am 16.05.2025, von https://www.watson.ch/schweiz/psychologie/899025313-satanic-panic-wenn-in-der-psychotherapie-falsche-erinnerungen-aufkommen
Evangelische Zentralstelle für Weltanschauungsfragen. (12.01.2022). Ein Schweizer Film über die Rituelle-Gewalt-Theorie. Abgerufen am 16.05.2025, von https://www.ezw-berlin.de/aktuelles/artikel/ein-schweizer-film-ueber-die-rituelle-gewalt-theorie-news/
WOZ. (24.02.2022). Satanic Panic – Der Teufel im Therapiezimmer. Abgerufen am 16.05.2025, von https://www.woz.ch/2208/satanic-panic/der-teufel-im-therapiezimmer
SRF Dokus & Reportagen. (14.12.2021). Satanistische Verschwörungstheorie im Umlauf | «Satanic Panic 1». Abgerufen am 16.05.2025, von https://www.youtube.com/watch?v=dF7XJ5OZn44&t=1733s
Undone. (14.11.2024). Podcast: Geteiltes Leid. Abgerufen am 12.03.2025, von https://www.podcast.de/podcast/3509368/geteiltes-leid
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