Der Fabulant

Die NGO-Verschwörung:
Gemeinnützig oder gemeingefährlich?

Zivilgesellschaft unter Generalverdacht

Lange galt sie als unverzichtbarer Grundpfeiler unserer Demokratie: die Zivilgesellschaft. Wo früher gesellschaftliches Engagement geschätzt und gefördert wurde, werden NGOs (also Nichtregierungsorganisationen) weltweit durch vor allem rechte und konservative Kräfte unter Generalverdacht gestellt. Sie wittern eine Art „NGO-Deepstate“, eine „Parallelregierung“, die einer Agenda folge, um mit öffentlichen Fördermitteln parteipolitischen Einfluss zu nehmen. Wie gemunkelt wird, soll diese zivilgesellschaftliche Manipulation unter dem Deckmantel der Gemeinnützigkeit im Verborgenen stattfinden. Ich wittere hier nicht nur einen Haufen haltlose Anschuldigungen, sondern auch eine ordentliche Portion Tatsachenverdrehung. Höchste Zeit also, dass wir uns die Vorwürfe hinter dem Anti-NGO-Märchen mal genauer anschauen. 

Vorwurf Nr. 1: Fehlende politische Neutralität und „linke“ Machtstrukturen 

NGOs wird vorgeworfen, im Auftrag der Regierung zu handeln und eine linke Ideologie durchsetzen zu wollen, gar Teil eines zentral gesteuerten „NGO-Komplexes“ zu sein – dabei gibt es gar nicht 𝘥𝘪𝘦 Zivilgesellschaft oder die NGOs. In Deutschland existieren mehr als 650.000 verschiedene zivilgesellschaftliche Organisationen, Vereine und Verbände, die in ihrer Arbeit genauso vielfältig sind, wie in ihren Interessen und Zielen. Es sind Klimaverbände, Menschenrechtsorganisationen, Senior:innenvereine u.v.m., die die Interessen von marginalisierten Menschen vertreten, sich für Gerechtigkeit oder unsere Umwelt einsetzen. Die ZiviZ-Survey 2023 zeigt: Nur rund 6% sehen sich als politische Akteur:innen im engeren Sinne und selbst unter größeren Organisationen mit hohen öffentlichen Finanzierungsanteilen beteiligt sich nur eine Minderheit an Demonstrationen.  

Fakt ist: Es wird gezielt ein verzerrendes Bild über Nichtregierungsorganisationen verbreitet. Wer könnte wohl Interesse daran haben, sozialorientierten, gemeinnützigen Organisationen, die ein Gegengewicht zu Wirtschaftslobbyisten bilden, zu schaden?! Ein Handeln im Rahmen unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung und Stärkung unseres Grundgesetzes und unserer demokratischen Werte sollte unabhängig von parteipolitischer Ausrichtung passieren. 

Vorwurf Nr. 2: NGOs haben zu viel Einfluss, obwohl sie nicht gewählt wurden 

Auch hier wird die Rolle von NGOs falsch oder stark überschätzt eingeordnet. Zivilgesellschaftliche Organisationen haben keinerlei gesetzgeberische Befugnisse oder rechtliche Schlupflöcher, um aus dem Hintergrund für Parteien zu agieren. Was sie allerdings tun können, ist Kritik und Wissen in politische Prozesse einzubringen und als Vermittler:innen zwischen Bevölkerung und Politik zu wirken. Damit eröffnen sie niedrigschwellige Formen der Teilhabe und zeigen Möglichkeiten auf, demokratische Prozesse auch außerhalb der Wahlkabine mitzugestalten. Sie schaffen Räume, in denen Bürger:innen ihre Interessen und Werte jenseits institutioneller Kanäle zum Ausdruck bringen können. Die Lobbyismusforschung zeigt außerdem: NGOs liegen in Ausstattung und Zugang zur Politik weit hinter der Unternehmenslobby zurück. 

Vorwurf Nr. 3: NGOs bereichern sich an öffentlichen Mitteln  

Wer schon einmal im Bereich der Zivilgesellschaft gearbeitet hat, weiß, dass Unterstellungen von „Joboasen“, Fördermitteln im Überfluss und Selbstbereicherung nicht nur abwegig, sondern komplett jenseits der Realität liegen. Der Arbeitsalltag im gemeinnützigen Sektor besteht meist aus Befristung, Teilzeit und niedrigen Löhnen. Viele wirksame Projekte müssen bereits nach kurzer Förderdauer aufgrund fehlender Mittel wieder eingestellt werden. Hier zeigt die ZiviZ-Survey 2023: Tatsächlich haben nur 27% der NGOs überhaupt bezahlte Beschäftigte und gerade einmal 2,5% mehr als 50 Angestellte. Dabei sind letztere meist sozial-karitative Einrichtungen oder Bildungsträger.

Schaut man sich an, wie viele zivilgesellschaftliche Organisationen öffentliche Zuschüsse erhalten, so sind es mit 38% tatsächlich nicht gerade wenig. Allerdings machen diese Mittel im Durchschnitt nur 11% des Jahresbudgets von NGOs aus. Der Rest kommt meist durch Mitgliedsbeiträge und selbsterwirtschaftete Mittel. Gerade einmal 5% der Organisationen finanziert sich zu mehr als 75% aus öffentlichen Fördermitteln. Ein Leben in Saus und Braus auf Kosten von Steuergeldern sieht definitiv anders aus. 

Vorwurf Nr. 4: Fehlende Transparenz und Kontrolle  

An dieser Stelle ist nicht ganz eindeutig, an wen sich die Forderung nach mehr Transparenz eigentlich richtet. Bei aller Empörung bleibt nämlich meist unklar, ob sich die Transparenzforderung auf die Verwendung öffentlicher Fördermittel, und damit eher auf die staatlichen Förderinstitutionen, oder auf die zivilgesellschaftlichen Organisationen selbst bezieht. So oder so fällt auf, dass vor allem Organisationen mit menschenrechtlichen, antirassistischen oder feministisch-progressiven Zielen ins Fadenkreuz solcher Schreie nach Offenlegung geraten. Bei wirtschaftlichen Interessenvertretungen wird hingegen wenig Aufklärungsbedarf gesehen.

Außerdem wird das Narrativ der fehlenden NGO-Kontrolle der tatsächlichen Regulierung im gemeinnützigen Sektor nicht gerecht. Bereits heute gibt es umfangreiche Berichts-, Prüf- und Veröffentlichungspflichten gegenüber Finanzämtern und Mittelgebern – vor allem bei steuerbegünstigten Organisationen und öffentlichen Fördermitteln.  

Aber natürlich gibt es auch Verbesserungsbedarf, so unterliegen zivilgesellschaftliche Organisationen beispielsweise keiner übergreifenden statistischen Erfassung. Daher fehlen standardisierte, belastbare Daten über Vermögensbestand, Einnahmenstruktur und Mittelverwendung auf Sektorebene. Dennoch veröffentlichen beispielsweise größere Organisationen freiwillig Berichte. 

Vorwurf Nr. 5: Zensur und Einschränkung der Meinungsfreiheit 

Es ist die alte Leier über Zensur, die schlichtweg keine ist. So wird behauptet, NGOs würden die Meinungsfreiheit einschränken, indem sie abweichende oder konservative Ansichten öffentlich abstrafen. Auch hier gilt: Zivilgesellschaftliche Organisationen verfügen über keinerlei staatliche Gewalt. Sie haben weder eine rechtliche noch institutionelle Grundlage, um jemanden zum Schweigen zu bringen oder zu zensieren.

Zensur bedeutet staatliche Eingriffe in die Meinungsäußerung und nicht öffentliche Kritik, Widerspruch, Demonstrationen, Boykottaufrufe oder Gegenrede. Im Gegenteil, die Möglichkeit, sich öffentlich für oder gegen gewisse Dinge aussprechen zu können, liegt ja im Kern der Meinungsfreiheit. Das zeigt sich auch in der klassischen „Man darf ja gar nichts mehr sagen“-Mentalität, bei der komischerweise dann doch fast alles gesagt werden kann. Nur muss man dann eben auch damit leben können, dass einem widersprochen wird.  

Fazit – Korrektiv statt Kartell 

NGOS – also Non-Governmental Organizations = Nichtregierungsorganisationen – stellen kein politisches Machtkartell dar, sondern vor allem ein Gegengewicht zur Lobbymacht von Konzernen und der Industrie. Als Vertreter:innen vielfältiger gesellschaftlicher Interessen sind sie im demokratischen Miteinander dringend notwendig. Es gibt keine Nachweise, dass NGO-Finanzierungen direkten Einfluss auf die Arbeit von Parlamenten nehmen.  

Die diffamierenden Anschuldigungen gegen NGOs sind nicht nur ignorant, sondern auch gefährlich. Sie sollen gezielt zivilgesellschaftliche Akteur:innen delegitimieren, um sie durch die Streichung von finanziellen Mitteln nach und nach abzuschaffen. Die vielfältige Landschaft der Zivilgesellschaft wird zur „linken Lobbygruppe“ verdammt. Da werden dann auch gerne verschwörungsideologische Erzählungen, wie die vom „Deepstate“ hervorgeholt. Zudem wird empört von geheimen Machenschaften und Absprachen, dem Bilden von Diktaturen und der Abschaffung von Meinungsfreiheit und Neutralitätsgeboten gefaselt, um die wichtigste demokratische Funktion der NGOs als Korrektiv, Mitgestaltungsraum und Frühwarnsystem abzuwerten.  

Narrative, die gezielt gestreut werden, um nichtstaatliche, zivilgesellschaftliche Organisationen zu diffamieren, säen nicht nur Misstrauen und fördern eine Spaltung der Gesellschaft, sondern können auch als deutlicher Angriff auf unsere Demokratie und unseren Rechtsstaat gewertet werden.  

Quellen

Hummel, S., & Schubert, P. (2025). Das Anti-NGO-Narrativ: Wie versucht wird, die Zivilgesellschaft zu delegitimieren. (Opuscula, 200). Berlin: Maecenata Institut für Philanthropie und Zivilgesellschaft. https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:0168-ssoar-104718-8 

Schubert, P.; Kuhn, D. & Tahmaz, B. (2023). Der ZiviZ-Survey 2023: Zivilgesellschaftliche Organisationen im Wandel – Gestaltungspotenziale erkennen. Resilienz und Vielfalt stärken. Berlin: ZiviZ im Stifterverband.  

Tagesschau (2025): Umstrittene Anfrage zu NGOs: Wissenschaft und Organisationen kritisieren Union  

Bild: rihaij von Pixabay 

auf einem Blick

Darum geht’s

Zivilgesellschaftliche Organisationen stehen unter Beschuss: Ihnen wird vorgeworfen, unter dem Deckmantel der Gemeinnützigkeit mit öffentlichen Geldern parteipolitisch Einfluss zu nehmen. 

Pro

Endlich ist politische Einflussnahme auch ohne nervige Wahlkämpfe und Ämter möglich!

Kontra

  • Die NGO-Kritik verallgemeinert und pauschalisiert sehr unterschiedliche Organisationen unter dem Begriff „NGO“, ohne zwischen Ehrenamtsstruktur, lokalen Initiativen, professionellen NGOs etc. zu unterscheiden.

  • Das Anti-NGO-Narrativ überträgt Merkmale einer kleinen Teilgruppe (etwa „politisch aktive NGOs“) auf die gesamte Zivilgesellschaft. Nur ein kleiner Teil der Zivilgesellschaft versteht sich selbst als Akteur der politischen Willensbildung.

  • Wirtschaftliche Akteur:innen verfügen über weit höhere finanzielle Ressourcen, etablierte Netzwerke und direkten Zugang zu politischen Entscheidungsträger:innen. NGOs arbeiten meist mit weniger Mitteln.

  • 38 % der NGOs erhalten staatliche Zuschüsse, aber öffentliche Mittel machen im Schnitt nur etwa 11 % des Gesamtbudgets aus. Viele Organisationen finanzieren sich vorwiegend aus Mitgliedsbeiträgen, Spenden, Eigenleistungen oder Vermögenserträgen.

  • Transparenzforderungen werden oft selektiv gegen unerwünschte Organisationen eingesetzt, während ähnliche Anforderungen an wirtschaftliche Akteur:innen selten gestellt werden.

  • Fördermittel sind meist zweckgebunden und unterliegen Rechenschafts- und Nachweispflichten. NGOs sind gesetzlichen Berichtspflichten unterworfen und müssen gegenüber Fördergebern Rechenschaft ablegen.

  • Der Anteil der politisch aktiven Organisationen mit hohem staatlichem Finanzierungsanteil ist extrem gering (z. B. unter den großen NGOs mit hohem Förderanteil ist der Anteil an Demonstrationsteilnahme nur ca. 0,1 %).

  • Trotz medialer Sichtbarkeit progressiver NGOs ist der politische Wandel oft begrenzt (z. B. in Migrations- oder Klimapolitik). Der Abstand zwischen wahrgenommenem Einfluss und realen Ergebnissen zeigt, dass NGOs weniger steuernde Macht haben als behauptet wird.

  • Nur 27 % der ZGO haben überhaupt bezahlte Beschäftigte. Extrem große Organisationen sind die Ausnahme. Viele NGOs operieren mit knappen Mitteln, befristeten Verträgen, und wenig Mitarbeitenden – das Bild der „reichen NGO-Elite“ ist empirisch nicht haltbar.

  • NGOs verfügen über keinerlei staatliche Gewalt: Die Behauptung, sie betreiben Zensur, verkennt die juristische Definition von Zensur, die staatliche Eingriffe meint.

Stiftung Fabeltest

Fantasie

Wahrheit

Gefahrenpotenzial

Empfehlungen

Echt guter Stoff

Menschen, die sich für diese Verschwörungserzählung interessierten, interessieren sich auch für…