Der Fabulant

Wahlmanipulation:
Jede Stimme quält

Betrugsvorwürfe als Strategie

Schon von klein auf bekommen wir mit auf den Weg gegeben, dass sich Schummeln einfach nicht gehört. Wie gut, dass es für die meisten Spiele auch festgelegte Regeln gibt, an die sich alle halten müssen. Zum Fairplay gehört allerdings auch dazu, dass man Mitspielende nicht einfach der Schummelei beschuldigt – zumindest nicht grundlos. Was selbst kleine Kinder verstehen, scheint für rechtspopulistische und verschwörungsnahe Kreise allerdings ein politischer Skandal zu sein. Sie behaupten, bei den letzten Europa- und Kommunalwahlen sei eiskalt betrogen worden. Na, da machen wir doch mal drei Kreuze und werfen gemeinsam einen Blick in die Wahlurnen.

„Ach, wie gut, dass niemand weiß, dass ich beim Wählen heut bescheiß“ 

Mittlerweile sind die Ergebnisse der letzten Europawahl längst ausgezählt, doch bereits bevor das Ergebnis verkündet wurde, gab es erste Vermutungen einer angeblichen Wahlfälschung. Vor allem auf der Plattform X munkelten User und Userinnen von „strukturierter Manipulation“, „gravierenden Unregelmäßigkeiten“ und „Wahlbetrug“. Wahlhelfende sollen absichtlich Stimmzettel ungültig gemacht haben. Die vermuteten Strategien dahinter sind wirklich mehr als kreativ.

Wegradierbare Kugelschreiber, weggeworfene Stimmzettel oder „fiese Auswertungstricks“ sollen dazu geführt haben, dass vor allem Stimmen für Parteien aus dem rechten Spektrum nicht gezählt worden sein sollen. Also Wegradieren, Wegwerfen und Tricksen klingt für mich eher nach einer typischen Mathehausaufgabe der vierten Klasse, aber es geht noch fantasievoller. Zum Beispiel soll eine abgeschnittene Ecke oder ein Loch oben rechts im Stimmzettel diesen ungültig machen. Außerdem verbreitete sich der Mythos, dass Wahlurnen immer durchgehend versiegelt sein müssen. Sorry, aber bisher alles Unfug und kein Betrug.

Die Qual der (Brief)Wahl

Ansonsten bringt man verbissene Diskussionen über Kreuze eher mit öffentlichen Einrichtungen in Bayern in Verbindung, doch in sozialen Medien wurden diese von rechtspopulistischen Nutzerinnen und Nutzern auch im Zuge der letzten Wahlen heiß thematisiert. Sie behaupteten nämlich, ein gesetztes Kreuz auf dem Stimmzettel, dass über den Rand des Kreises hinausgeht, mache die Stimme ungültig. Natürlich sollen Wahlhelfende nur bei ganz bestimmten Parteien so genau hingeschaut haben – ganz fieser Trick.

Vor allem die Briefwahl scheint bei rechtspopulistischen Gruppierungen ein betrügerischer Dorn im Auge zu sein. Hier wird immer wieder über eine vermeintliche Anfälligkeit zur Wahlmanipulation gemeckert und aufgefordert, am Wahltag persönlich in der Kabine wählen zu gehen. Schließlich kann man nie wissen, was mit so einem wertvollen Brief nach dem Einwurf so alles passiert. Wer weiß, vielleicht steckt ja sogar der Briefträger mit den Verschwörern unter einer Decke. Nein, so schnell lassen sich die Briefwahlskeptiker und –skeptikerinnen nicht ins Posthorn, äh Bockshorn jagen. Wenn dann wie zu erwarten wirklich weniger Stimmen per Briefwahl eintrudeln, wird das als Beweis für die vermutete Manipulation gesehen. Logik sucht man hier leider vergeblich.

Wahlweise jammern

So groß das Geschrei um eine angebliche Manipulation vor den Wahlen auch war, als die Ergebnisse der vermeintlich betrogenen Parteien dann doch gar nicht so übel ausfielen, wurde es plötzlich still um die Betrugsvorwürfe. Nützliche Strategie, denn durch die Behauptung über angebliche Wahlfälschung kann zum einen versucht werden, von vorausgegangen Skandalen abzulenken und zum anderen wird in weiser Voraussicht Misstrauen gesät, falls die Ergebnisse nicht so ausfallen sollten, wie man es sich erhofft hat.

Dieses systematische Anzweifeln der Wahlergebnisse ist nicht neu und gängige Strategie vieler rechtspopulistischer Parteien weltweit. Mit am meisten geprägt hat dieses Vorgehen wohl – wenig überraschend – Donald Trump. Der hatte vor der US-Präsidentschaftswahl 2016 bereits von schwerwiegendem Wahlbetrug gesprochen. Nach seinem Sieg zweifelte er dann jedoch nur noch die Zahlen der Direktstimmen an, die in den USA wegen des Wahlsystems mit den Wahlleuten nicht mehr ausschlaggebend sind. Als er bei der darauffolgenden Wahl 2020 gegen Joe Biden verlor, behauptete er, die Wahl wurde ihm von den Demokraten „gestohlen“. Die traurige Folge: ein blutiger Sturm aufs Kapitol in Washington mit fünf Toten und zahlreichen Verletzen.

Vom Misstrauen zur Gewalt

In einer Demokratie haben Wahlberechtigte selbstverständlich das Recht den Wahlvorgang und die Stimmenauszählung zu beobachten – gerne auch kritisch. Global betrachtet muss man leider sagen, dass Manipulation und Beeinflussung von Wahlergebnissen in autoritären Staaten keine Seltenheit sind und ein reales Problem darstellen. In Deutschland besteht diese Gefahr allerdings aufgrund etablierter Sicherheitsmechanismen nicht, aber natürlich kann es auch hier zu Fehlern im Wahlprozess kommen, die sogar Wahlwiederholungen nach sich ziehen können.

Die Strategie, den Wahlvorgang und die Ergebnisse grundsätzlich infrage zu stellen, kann äußerst gefährlich werden.  Menschen könnten ihr Vertrauen in politische Prozesse verlieren und letztlich gar nicht mehr wählen gehen. Außerdem kann das bis zur Radikalisierung führen, bei der extremistische Gruppierungen versuchen könnten, ihr Wunschwahlergebnis mit Gewalt durchzusetzen. Egal ob per Briefwahl oder klassischem Gang ins Wahllokal, wer sich vorab richtig informiert, kann beruhigt sein Kreuzchen machen und sich anschließend entspannt zurücklehnen. Das ist gut für Körper, Geist und Demokratie.

Quellen

Tagesschau. (24.06.2024). Rechtspopulistische Parteien: Betrugsvorwürfe – wenn das Ergebnis nicht passt. Abgerufen am 27.08.2024, von https://www.tagesschau.de/faktenfinder/kontext/wahlbetrug-wahlmanipulation-100.html

Correctiv. (11.06.2024). Faktencheck: Wahlbetrug mit AfD-Stimmen bei der Europawahl? Nein, X-Beitrag war ironisch gemeint. Abgerufen am 28.08.2024, von https://correctiv.org/faktencheck/2024/06/11/wahlbetrug-mit-afd-stimmen-bei-der-europawahl-nein-x-beitrag-war-ironisch-gemeint/

Bundeszentrale für politische Bildung. (27.08.2021). Das Narrativ vom Wahlbetrug | Digitale Desinformation. Abgerufen am 29.08.2024, von https://www.bpb.de/themen/medien-journalismus/digitale-desinformation/339306/das-narrativ-vom-wahlbetrug/

RedaktionsNetzwerk Deutschland. (18.09.2021). Mythos Wahlbetrug: Wie AfD und rechte Kreise die Briefwahl diffamieren. Abgerufen am 29.08.2024, von https://www.rnd.de/politik/wahlbetrug-durch-briefwahl-was-steckt-dahinter-und-warum-warnen-afd-und-rechte-kreise-vor-der-S6GZTSYBNFGHDGNQY3444A6STY.html

Bild: Glenn Carstens-Peters via Unsplash

Laborberichte

Trends

auf einem Blick

Darum geht’s

Rechtspopulistische und verschwörungsnahe Kreise vermuteten, dass bei den letzten Europa- und Kommunalwahlen betrogen worden sein soll und vorwiegend „linke“ Wahlhelfende absichtlich Stimmzettel rechter Parteien ungültig gemacht haben sollen.

Kontra

  • Bei den letzten Europa- und Kommunalwahlen gab es keinerlei Hinweise auf wegradierbare Kugelschreiber, die angeblich in manchen Wahllokalen verwendet worden sein sollen.

  • Bei der Auszählung der Stimmzettel gilt das Vier-Augen-Prinzip, es gibt Kontrollzählungen und Dokumentationspflichten der Wahlhelfenden. Daher ist es sehr unwahrscheinlich, dass Wahlhelfende Stimmzettel weggeworfen oder diese „ungültig“ gemacht hätten.

  • Die Behauptung, dass ein gesetztes Kreuz auf dem Stimmzettel, das über den Rand des Kreises hinausgeht, die Stimme ungültig macht ist falsch.

  • Eine abgeschnittene Ecke oder ein Loch oben rechts im Stimmzettel machen diesen nicht ungültig, sondern helfen Menschen mit Sehbehinderung.

  • Die Annahme, dass Wahlurnen versiegelt sein müssen, ist falsch, sie müssen lediglich verschließbar sein.

  • Auf X behauptete ein Nutzer, als Wahlhelfer bei der Europawahl alle Stimmen für die AfD mit einem Strich auf dem Wahlzettel ungültig gemacht zu haben. Mehrere Hinweise zeigen, dass der Beitrag nicht ernst gemeint war, und der Verbreiter bestätigte dies auf Nachfrage.

  • Die Bundeswahlleiterin Brand beteuerte, dass die Briefwahl genauso demokratisch legitimiert und sicher ist wie die Urnenwahl im Wahllokal. Das Bundesverfassungsgericht hat die Briefwahl in mehreren Entscheidungen für verfassungsgemäß erklärt.

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