Der Fabulant

Chemtrails:
Viel Wind um nichts

Gar nicht mal so heiße Luft und trotzdem Erderwärmung?

Kondensstreifen am blauen Himmel; Copyright Paul Berry via Unsplash

Habt ihr schon einmal in den blauen Himmel geblickt, ein Flugzeug leise bis zum Horizont fliegen und weiße Streifen hinter sich herziehen sehen? Nicht bei jedem wird da das Fernweh geweckt. Seit den 1990er Jahren werden immer wieder „Die sprühen schon wieder“-Rufe laut. Doch was hat es damit auf sich?

Unter den Wolken

Die weißen Streifen hinter Flugzeugen, gemeinhin als Kondensstreifen bekannt, bestehen aus Wasserdampf, der den Triebwerken entweicht, in kalten Höhenlagen kondensiert und sich an Rußpartikeln niederlegt. Ein einfacher physikalischer Prozess, der vielfach beobachtet und nachgewiesen wurde. Doch die Sprüh-Rauner vermuten dahinter einen perfiden Plan von „Denen da oben“! Die Kondensstreifen seien in Wahrheit „Chemtrails“, also mit Chemikalien versetzte Nebel, die langsam auf die Erde niederregnen. Was genau gesprüht wird, sind je nachdem, wer gefragt wird, eine Mischung aus Aluminium und Barium, unterschiedliche Gifte, verschiedene Impfstoffe oder das Wetter beziehungsweise Gedanken beeinflussende Substanzen. So unpräzise die Erzählung ist, so allumfassend ist der Kreis vermeintlicher Verschwörer:innen. Beteiligt an der staatlich beauftragten Sprühaktion werden Mitarbeitende von Billig-Airlines, Firmen, die extra angefertigte Flugzeuge und Treibstoff-Chemtrail-Gemische herstellen sowie so ziemlich jede Person, die ein Flugzeug steuern kann. Wer nicht mitmacht, fliegt (nicht mehr)!

Vernebelter Aktivismus?

Chemtrail-Erzählungen kommen zwar ziemlich erfinderisch daher, bergen aber ungewollt eine erstaunlich treffende Kritik am modernen Flugverkehr und der Gleichgültigkeit gegenüber einem voranschreitenden Klimawandel. Denn Chemtrails sei Dank, werden durch ein wenig Fantasie, abstrakt erscheinende Umweltfolgen endlich greifbar, indem sie zu einer unmittelbaren und direkt eintretenden Gefahr für die Menschheit gemacht werden... auch, wenn das wohl eher aus Versehen passiert. Denn die Parallelen liegen auf der Hand: Menschengemachte Substanzen – menschengemachter Klimawandel. Ebenso eindeutig ist die Botschaft der Erzählung: je mehr Flugzeuge fliegen, desto mehr sollten die Menschen zu Hause bleiben, da die Umwelt zu einer kaum einschätzbaren Gefahr wird. Der Flugverkehr als Umweltgift – jeder weiß davon, aber niemand tut etwas dagegen! Handelt es sich etwa um eine bewusst konstruierte Erzählung von Umweltaktivist:innen, um die Gesellschaft aufzuwecken?!

Wie dem auch sei. Wetter-, gehirn oder umweltmanipulierende „Chemtrails“ gibt es nicht – wie erstaunlich oft untersucht und belegt wurde. Die Erzählungen rund um die Gefahren des Flugverkehrs könnten theoretisch einen innovativen Protestansatz, mit spannendem Storytelling und bildstarken Metaphern, darstellen. Wären da nicht die viel zu schnell und einfach zu widerlegenden „Fakten" und mäßig professionell gephotoshoppten „Beweisbilder“ von Flughäfen und die üblichen antisemitischen und rechts-esoterischen Elemente, die viele Verschwörungsmythen umfassen. Das ist einfach keine gute Grundlage, um die „Chemtrail“-Bewegung als erstzunehmenden Klimaprotest zu etablieren.

Fazit: Schade. Auch wenn kurz die Hoffnung aufkeimt, dass die Chemtrail-Erzählungen wenigstens etwas zur Rettung unseres Klimas beitragen könnten, schaffen sie es aus Mangel an Massentauglichkeit einfach nicht, ihr diesbezügliches Potenzial zu entfalten. Stattdessen bleiben sie im Irrwitz der fantastischen und wahnhaften Geschichten verhaftet.

Quellen

Laborberichte

Trends

auf einem Blick

Darum geht’s

Kondensstreifen von Flugzeugen sollen in Wahrheit Chemtrails sein, also mit Chemikalien versetzte Nebel, die Gifte oder Umwelt beeinflussende Substanzen enthalten.

Pro

Erzählung, die aus Versehen auf die Gefahren des erderwärmenden Flugverkehrs aufmerksam macht und von starken Bildern und einer einfallsreichen Community lebt.

Kontra

  • Kondensstreifen entstehen bei Temperaturen von -35 bis -55°C, indem Luftbestandteile und Abgase an ausgestoßenen Rußpartikeln durch kondensieren und gefrieren.

  • Kondensstreifen sind an manchen Tagen länger zu sehen oder ziehen sich auseinander, was mit der Wetterlage zusammenhängt. Fliegt ein Flugzeug durch ein Tiefdruckgebiet mit feuchter Luft, kann diese die ausgestoßenen Wassermoleküle nicht aufnehmen, sodass Cirruswolken entstehen.

  • Verschiedene Flughöhen und damit verbundene Unterschiede in Temperatur und Luftfeuchtigkeit erklären fehlende oder „abbrechende“ Kondensstreifen oder zeitlich parallele Flüge mit und ohne Kondensstreifen. Bei hoher Temperatur und trockener Luft gibt es keine Kondensstreifen.

  • Kursierende Fotos zeigen zwar Umbaumaßnahmen von Löschflugzeugen der kanadischen Firma Conair – Chemtrail-Tanks sind jedoch nicht zu sehen, auch wenn uns das viele Beitragstexte und Überschriften so verkaufen wollen.

  • Es gibt zwar vereinzelt und unregelmäßig Versuche, Wolken frühzeitig abregnen oder Regenwolken entstehen zu lassen. Die Erfolge so einer kurzzeitigen Wetterbeeinflussung sind jedoch mäßig.

  • Geoengineering ist Theorie: Das Beeinflussen des Klimas zum Zweck des Aufhaltens der Erderwärmung wurde bisher nur theoretisch erforscht.

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