Na, habt ihr schon einmal versucht, den Überblick zu behalten, wie viele Verschwörungserzählungen euch so in eurem Alltag begegnen? Ich auch nicht, denn es ist einfach unmöglich. Umso wichtiger ist es, erkennen zu können, welche Verschwörungserzählungen aktuell oder in der Zukunft ein tatsächliches Risiko für die Gesellschaft und öffentliche Debatten darstellen können. Jared Holt und Lucy Cooper haben sich in ihrem Artikel „Conspiracy theories matter, but not all are meaningful: A guide for analyzing risks to audiences“ dieser Frage gewidmet und verschiedene Kriterien aufgestellt, die bei einer Einschätzung helfen, wann Verschwörungserzählungen besonders gefährlich werden können und eine gesellschaftliche und mediale Reaktion erfordern. Dafür haben Sie die folgenden Fragen formuliert:

Erreicht die Verschwörungserzählung ungewöhnliche oder besonders gefährliche Zielgruppen?

Wenn eine Verschwörungserzählung ein Publikum erreicht, das zwar eher auf Nischen-Plattformen abseits der gängigen sozialen Netzwerke unterwegs, dafür aber besonders aktiv oder gewaltbereit ist, kann die Erzählung eine potenzielle Gefahr darstellen.

Kann die Reaktion der Öffentlichkeit auf bedeutende Ereignisse durch die Verschwörungserzählung beeinflusst werden?

Wenn Desinformation und Verschwörungserzählungen über gesellschaftlich aktuelle oder relevante Themen für Verunsicherung bei Einzelpersonen, Gruppen oder in der Öffentlichkeit sorgen können, können Sicherheit, Gesundheit und demokratische Prozesse in Gefahr geraten. Verschwörungserzählungen, die den Diskurs zu diesen Themen maßgeblich beeinflussen, erschweren die mediale Berichterstattung darüber und verändern deswegen auch die Wahrnehmung dieser Themen. Werden Medien und andere Akteure dann noch in eine Defensivposition gedrängt, weil sie z. B. zur Zielscheibe der Verschwörungserzählung werden, können sie ihre Ressourcen nicht mehr alleinig darauf verwenden, faktenbasierte Informationen zu vermitteln, was zu einer Diskursverschiebung führen kann.

Wird die Verschwörungserzählung durch bedeutende soziale und politische Akteure beachtet oder unterstützt?

Wenn relevante Akteure wie soziale Medienplattformen, Geldgebende oder Politikerinnen und Politiker eine Verschwörungserzählung direkt oder indirekt unterstützen, verleihen sie ihr eine besondere Relevanz. Zudem kann die wahrgenommene Legitimierung durch soziale und politische Eliten die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass eine Verschwörungserzählung auch außerhalb von Kreisen Verschwörungsgläubiger Auswirkungen hat, indem sie gesellschaftliches Handeln oder die Regierungspolitik beeinflussen können.

Ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass eine Verschwörungserzählung offline Gewalt oder Schaden provozieren kann?

Verschwörungserzählungen, die besonders starke Emotionen hervor- oder explizit zu Handlungen aufrufen, können eine besondere Gefahr für die öffentliche und persönliche Sicherheit darstellen. Dies gilt insbesondere dann, wenn durch die Erzählung bei Untätigkeit negative soziale, politische oder persönliche Konsequenzen prognostiziert oder bestimmte Personen oder Gruppen eines moralischen Verstoßes bezichtigt werden.

Haben die von einer Verschwörungserzählung betroffenen Personen und Institutionen die angemessenen Mittel, um sich vor Risiken zu schützen?

Personen aus der Politik und dem öffentlichen Leben verfügen meist über die Ressourcen, sich vor Angriffen von Verschwörungsgläubigen zu schützen, sei es durch entsprechende Sicherheitsmaßnahmen, frühzeitige Strafverfolgung oder die Berichterstattung über etwaige Drohungen. Eher weniger prominenten Personen wie z. B. Lehrkräften oder Aktivistinnen und Aktivisten sind jedoch einer größeren Gefahr ausgesetzt.

Die vorgestellten Kriterien geben eine Orientierung dafür, welche Verschwörungserzählungen potenziell eine besondere Gefahr für das öffentliche Leben und die Gesellschaft ausmachen können. Eine Verschwörungserzählung muss aber, laut Holt und Cooper, nicht alle Kriterien erfüllen, um besonders gefährlich zu sein. Deshalb ist es insbesondere bei neu auftretenden Verschwörungserzählungen wichtig, genau hinzuschauen und, wenn möglich, für Aufklärung und Gegenrede zu sorgen. Denn eins steht fest: je mehr wir über Verschwörungserzählungen wissen, desto besser sind wir gewappnet, um frühzeitig auf diese zu reagieren und sie gar nicht erst zu einem Risiko werden zu lassen.

Hier geht’s zum ganzen Artikel in englischer Sprache: Holt, J., & Cooper, L. (7. Mai 2024). Conspiracy theories matter, but not all are meaningful: A guide for analyzing risks to audiences.

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