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Flache Erde - flache Story! Ein Mitmachwerk, das zum Gähnen einlädt
Die Frage, ob das Weltbild einer flachen Erde nicht schon im Mittelalter veraltet war, ist heute verrückterweise ebenso aktuell wie neuere Erzählungen über einen vermeintlich scheibenförmigen Planeten. Fakt ist: bereits in der Antike wurde die Kugelform der Erde bewiesen und ihr Umfang erstaunlich genau berechnet. Seitdem gibt es viele Untersuchungen, Beweisführungen und Darstellungen der kugelförmigen Welt, die gemeinsam mit anderen Planeten um die Sonne kreist. Nachzuschlagen überall dort, wo es Fakten gibt – wenn man ihnen glauben will!
Alternativ bietet sich das dünne Werk über die „Flache Erde“ an, das heute in verstreuten Ecken des Internets immer wieder zitiert wird. Aktuelle Fassungen gehen auf Samuel Robotham zurück. Unter dem Pseudonym „Parallax“ veröffentlichte er 1849 eine Schrift, in der er sämtliche vorangegangene Wissenschaft ignorierte, dafür lieber mehrere Bibelpassagen interpretierte und zum eindeutigen Schluss kam: die Erde ist eine Scheibe! Schnell fand er ein dankbares Publikum, das auch nach seinem Tod die Kunde vom zweidimensionalen Planeten weiterverbreitete, heute unter dem Zusammenschluss der Flat Earth Society und in unzähligen Facebook-Gruppen, YouTube-Videos und Podcasts zu finden.
Der (Erd)Kern der Geschichte, der so viele Flat Earther überzeugt, ist oberflächlich betrachtet simpel: die Erde ist eine Scheibe. Das Werk gibt sogar eine sehr genaue Anordnung von Meeren und Kontinenten vor: den Mittelpunkt bildet der Nordpol und rundherum schält sich unser Globus spiralförmig ab. Damit nichts ausläuft, hält ein äußerer Ring aus Eis, uns bekannt als Antarktis, die Ozeane zusammen. Damit niemand dem Rand zu nahe kommt und von der Erde fällt, wird das Gebiet durch die NASA streng überwacht.
So weit - so einfallslos, haben wir doch bei Fantasy-Autor Terry Pratchetts „Scheibenwelt" wenigstens noch ein paar Elefanten, die die Erde tragen, oder bei George R. R. Martins „Das Lied von Eis und Feuer" einen coolen König hinter der Eismauer. Doch in dieser Geschichte gilt: es ist das, was du draus machst! Nach dem ersten schnell erzählten Kapitel kommt der Clou: wir haben es hier mit einem interaktiven Erzählformat zu tun. Hast du Gefallen am Mythos „Flache Erde“ gefunden, lädt die Geschichte dich ein, hier noch etwas zu verweilen und dem Konstrukt nach Belieben weitere Elemente hinzuzufügen: Kuppeln aus unterschiedlichen Materialien, Himmelskörper, die in von dir definierten Bahnen über die Scheibe kreisen, oder sogar Schauspieler:innen und Kameras wie in der „Truman Show“, die deine Paranoia anregen! Auch Scheinbeweise wie ein augenscheinlich gerade verlaufender Horizont, angebliche Bilder aus Satelliten, die eine Kuchen-Erde zeigen, und Aussichtspunkte auf Städte, die vermeintlich bei einer Erdkrümmung nicht möglich seien, sind gern gesehen.
Hat man genug vom Baukasten-System der „Flachen Erde“, kann man fix zum Ende der Story kommen: die flache Erde will von einer verschworenen Gruppe geheim gehalten werden. Von wem genau, warum und wie eigentlich? All diese Fragen werden nicht geklärt. Es scheint fast, als wäre die „Flache Erde“ nur der Anheizer, um in die Welt der Verschwörungserzählungen einzutauchen. Denn im Nachwort findet man Empfehlungen für allerlei Verschwörungsmythen, für die die „Flache Erde“ anschlussfähig oder ein Vehikel zur Glaubwürdigkeit sein kann. Es geht dann schnell tiefer hinein ins Rabbit Hole mit Mythen wie der Neuen Weltordnung und Chemtrails. Schnell wird klar: wir haben hier unsere Zeit nur mit der platten Sidestory verschwendet.
Bernhard, Roland. (2014). Dekonstruktion des Mythos’ der flachen Erde – Information, Quellen und Materialien zur Entschlüsselung der Erzählung über die „Flache Erde des Mittelalters“ in Schulbüchern. In: Historische Sozialkunde 2/2014, 42-51.
Isabella Ertel, USA Today: „Fact check: Photo of the Chicago skyline from Indiana proves the Earth is sphere, contrary to claim“
Bild: cokada via Canva